Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

Dingo. Pariahunde. 85

F< bin der Meinung, daß man auf alle dieſe Angaben kein größeres Gewicht legen darf, als ſie verdienen. Wie {hon wiederholt bemerkt, kommt alles darauf an, wie ein gefangenes Tier in früheſter Jugend behandelt wurde. Der Dingo iſt ein kluger Hund, und ſeine Zähmung muß gelingen, wenn niht im erſten, ſo im zweiten oder dritten Geſhlehte. Wäre er minder unanſehnlih, man würde, glaube ih, ſeine vortrefflihe Naſe ſhon längſt zu Jagdzwe>ken zu verwenden und ihn wirkli zu zähmen verſucht haben. Wie falſ<h es iſ, von einem oder einigen Stücken, welche man beobachtete, auf alle derſelben Art zu ſ<ließen, beweiſen die Dingos des Breslauer Tiergartens. Einer von ihnen iſt zahm geworden wie ein Hund, der andere wild geblieben; einer hat, was wohl zu beachten, im Laufe der Zeit vollſtändig bellen gelernt und wandte dieſe neuerworbene Sprache durhaus regelre<t an, beiſpielweiſe wenn eine Thür in der Nähe ſeines Käfigs geöffnet wurde, der andere dagegen heulte mit langgezogenen lachenden Lauten wie ein Schakal, und auch jener, welcher bellen konnte, begleitete ihn im Zweigeſange ſtets heulend. Schlegel, dem i dieſe Angaben verdanke, war mit mir der Anſicht, daß ſich aus den Nachkommen dieſer Dingos höchſt wahrſcheinlich ſehr brauchbare Gehilfen des Menſchen gewinnen laſſen würden.

Wirklich iſt es auh King gelungen, einen jungen Dingo aufzuziehen und derartig abzurichten, daß er ſi brau<hbar beim Hüten des Großviehs erwies, und Pechuel-Loeſche beobachtete an Bord des engliſchen Panzerſchiffes „Defence“ einen ſhönen, kräftigen Dingo, der gleich einem Hunde auf dem ganzen Schiffe herumlief, die ſteilen Treppen ſicher beging und mit jedermann freundlih verkehrte. So lernte er au< in der Ortſchaft Hilo auf Hawai (Sandwichinſeln) im Beſive eines amerikaniſchen Kapitäns noh einen Dingo kennen, der gänzlich zum Haustiere geworden war, vollſtändige Freiheit genoß und ſich in jeder Hinſicht wie ein zur Familie gehöriger Hund gebärdete.

Gehen wir von den verwilderten Hunden zu denen über, welche zwar herrenlos find, immer aber noc in einem gewiſſen Abhängigkeitsverhältnis zu dem Menſchen ſtehen. Die Engländer haben ihnen den Namen Pariahunde beigelegt, und dieſe Bezeichnung verdient von uns angenommen zu werden; denn Parias, elende, verkommene, aus der beſſeren Geſellſchaft verſtoßene Tiere ſind ſie, die armen Schelme, troß der Freiheit, zu thun und zu laſſen, was ihnen beliebt, Parias, welche dankbar die Hand le>en, die ihnen das Joch der Sklaverei auflegt, welche glü>lih zu ſein ſcheinen, wenn der Menſch ſie würdigt, ihm Geſellſchaft zu leiſten und ihm zu dienen.

Schon im Süden Europas leben die Hunde auf ganz anderem Fuße als bei uns zu Lande. Jn der Türkei, in Griechenland und in Südrußland umlagern Maſſen von herrenloſen Hunden die Städte und Dörfer, kommen wohl auc bis in das Jnnere der Straßen herein, betreten aber niemals einen Hof und würden auh von den Haushunden ſofort vertrieben werden. Sie nähren ſi hauptſählih von Aas oder jagen bei Gelegenheit wohl auch auf eigene Fauſt kleinere Tiere, namentlih Mäuſe und dergleihen. Auch die Hunde der ſüdſpaniſchen Bauern werden nur ſehr wenig zu Hauſe gefüttert, ſtreifen zur Nachtzeit weit und breit umher und ſuchen ſi ſelbſt ihre Nahrung. Auf den Kanariſchen JFnſeln iſt es, nah Bolle, noh neuerdings vorgekommen, daß einzelne Hunde verwilderten und unter den Schafherden bedeutenden Schaden anrichteten. So ſelbſtändig werden Die verwilderten Hunde des Morgenlandes nicht; aber ſie müſſen durchaus für ſi ſelbſt ſorgen und werden von keinem Menſchen irgendwie unterſtüßt.

Jc habe dieſe Tiere vielfah in Ägypten beobachtet und will in möglihſter Kürze mit: teilen, was mir von ihrem Leben beſonders merkwürdig erſchien. Alle ägyptiſchen Städte ſtehen zum Teil auf den Trümmern der alten Ortſchaften, alſo gewiſſermaßen auf Schutthaufen. Wahre Berge von Schutt umgeben auch die meiſten und die größeren, wie Alexandria