Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

86 Vierte Ordnung: Raubtiere; fünfte Familie: Hunde,

oder Kairo, in ſehr bedeutender Ausdehnung. Dieſe Berge nun find es, welche den verwilderten Hunden hauptſähli<h zum Aufenthalte dienen. Die Tiere ſelbſt gehören einer einzigen Raſſe an. Sie kommen in der Größe mit einem Schäferhunde überein, ſind von plumper Geſtalt und haben einen widerwärtigen Geſichtsausdru>; ihre lange und ziemlih buſchige Rute wird in den meiſten Fällen hängend getragen. Die Färbung ihres rauhen, ſtruppigen Pelzes iſt ein {mugßiges, rötliches Braun, welches mehr oder weniger in das Graue oder in das Gelbe ziehen kann. Andersfarbige, namentlih ſ<warze und lichtgelbe, kommen vor, ſind aber immer ziemlih ſelten. Sie leben in vollkommenſter Selbſtändigkeit an den genannten Orten, bringen dort den größten Teil des Tages ſ<hlafend zu und ſtreifen bei Nacht umher. Jeder beſißt ſeine Löcher, und zwar ſind dieſe mit eigentümlicher Vorſorge angelegt. Fedenfalls hat jeder einzelne Hund zwei Löcher, von denen eins na< Morgen, das andere nah Abend liegt; ſtreichen die Berge aber ſo, daß ſie dem Nordwinde auf beiden Seiten ausgeſeßt ſind, ſo graben ſi<h die Tiere auh no< auf der Südſeite ein beſonderes Loch, welches ſie jedo<h bloß dann beziehen, wenn ihnen der falte Wind in ihrem Morgenoder Abendloche läſtig wird. Morgens bis gegen 10 Uhr findet man ſie regelmäßig in dem nah Oſten hin gelegenen Loche; ſie erwarten dort nah der Kühle des Morgens die erſten Strahlen der Sonne, um ſih wieder zu erwärmen. Nach und nach aber werden dieſe Strahlen ihnen zu heiß, und deshalb ſuchen ſie jezt Schatten auf. Einer nah dem anderen erhebt ſich, klettert über den Berg weg und ſ<hleiht ſi<h na< dem auf der Weſtſeite gelegenen Loe, in welchem er ſeinen Schlaf fortſeßt. Fallen nun die Sonnenſtrahlen na<hmittags auch in dieſe Höhlung, ſo geht der Hund wieder zurü>k nach dem erſten Loche, und dort bleibt er bis zum Sonnenuntergange liegen.

Um dieſe Zeit wird es in den Bergen lebendig. Es bilden ſih größere und kleinere Gruppen, ja ſelb Meuten. Man hört Gebell, Geheul, Gezänk, je nahdem die Tiere geſtimmt ſind. Ein größeres Aas verſammelt ſie immer in zahlreicher Menge, ein toter Eſel oder ein verendetes Maultier wird von der hungrigen Meute in einer einzigen Nacht bis auf die größten Knochen verzehrt. Sind ſie ſehr hungrig, ſo kommen ſie auh bei Tage zum Aaſe, namentli<h wenn dort ihre unangenehmſten Gegner, die Geier, ſih einfinden ſollten, dur welche ſie Beeinträchtigung im Gewerbe fürchten. Sie ſind im höchſten Grade brotneidiſch und beſtehen deshalb mit allen unberufenen Gäſten heftige Kämpfe. Die Geier aber laſſen ſi ſo leicht niht vertreiben und leiſten ihnen unter allen Aasfreſſern den entſchiedenſten und mutigſten Widerſtand; deshalb haben ſie von ihnen das meiſte zu leiden. Aas bleibt unter allen Umſtänden der Hauptteil ihrer Nahrung; doch ſieht man ſie auh kaßenartig vor den Löchern der Rennmäuſe lauern und ſchakal- oder fuchsartig dieſen oder jenen Vogel beſhleihen. Wenn ihre Aastafel einmal niht gede>t iſt, machen ſie weite Wanderungen, fommen dann in das Jnnere der Städte herein und ſtreifen in den Straßen umher. Dort ſind ſie, weil ſie allen Unrat wegfreſſen, geduldete, wenn auh nicht gern geſehene Gäſte, und gegenwärtig kommt es wohl nur ſehr ſelten vor, daß einzelne gläubige Mohammedaner ſie, wie vormals geſchehen ſein ſoll, in ihren Vermächtniſſen bedenken und für ihre Erhaltung gewiſſermaßen Sorge tragen.

Die Paarungszeit fällt in dieſelben Monate wie bei den übrigen Hunden, einmal in das Frühjahr, das andere Mal in den Herbſt. Die Hündin wölft in eines ihrer Löcher, gräbt es aber etwas tiefer aus und bildet daraus einen förmlichen Bau, in welhem man das ganze Gewölfe nach einiger Zeit luſtig mit der Alten ſpielen ſieht. Nicht ſelten kommt es vor, daß eine ſolche Hündin, wenn die Wölfzeit kommt, ſih in das Jnnere der Städte begibt und dort mitten in der Straße oder wenigſtens in einem nur einigermaßen geſhüßten Winkel ſich eine Grube gräbt, in welcher ſie dann ihre Nachkommenſchaft zur Welt bringt. Es ſcheint faſt, als ob ſie wiſſe, daß ſie auf die Mildthätigkeit und Barmherzigkeit der