Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

88 Vierte Ordnung: Raubtiere; fünfte Familie: Hunde.

Gedanke an ihre beſtändigen Bewohner, die herrenloſen Hunde, welche man in zahlloſer Menge auf ihnen erbli>t. Gewöhnlih macht man ſi< von Dingen, von denen man oft üeſt, eine große Vorſtellung und findet ſih getäuſcht. Nicht ſo bei dieſen Hunden. Obgleich alle Reiſenden darüber einig ſind, ſie als eine Plage der Menſchen darzuſtellen, ſo ſind doh die meiſten bei der Beſchreibung dieſes Unweſens zu gelinde verfahren. Dieſe Tiere ſind von einer ganz eigenen Raſſe. Sie kommen in der äußeren Geſtalt wohl am meiſten unſeren Schäferhunden nahe, doh haben ſie keine gekrümmte Rute und kurze Haare von {mußiggelber Farbe. Wenn ſie faul und träge umherſ<hleihen oder in der Sonne liegen, muß man geſtehen, daß kein Tier frecher, ih möchte ſagen, pöbelhafter ausſieht. Alle Gaſſen, alle Pläze ſind mit ihnen bede>t; ſie ſtehen entweder an den Häuſern gereiht und warten auf einen Biſſen, welcher ihnen zufällig zugeworfen wird, oder ſie liegen mitten in der Straße, und der Türke, welcher ſi< äußerſt in aht nimmt, einem lebenden Geſchöpfe etwas zuleide zu thun, geht ihnen aus dem Wege. Auch habe ih nie geſehen, daß ein Muſelman eines dieſer Tiere getreten oder geſchlagen hätte. Vielmehr wirft der Handwerker ihnen aus ſeinem Laden die Überreſte ſeiner Mahlzeit zu. Nur die türkiſchen Kaikſchi und die Matroſen der Marine haben nicht dieſe Zartheit, weshalb mancher Hund im Goldenen Horn ſein Leben endet.

„Jede Gaſſe hat ihre eigenen Hunde, welche ſie niht verlaſſen, wie in unſeren großen Städten die Bettler ihre gewiſſen Standorte haben, und wehe dem Hunde, der es wagt, ein fremdes Gebiet zu beſuchen. Oft habe ih geſehen, wie über einen ſolhen Unglüclichen alle anderen herfielen und ihn, wußte ex ſih niht dur< ſ{leunige Flucht zu retten, förmlih zerriſſen. Jh möchte ſie mit den Straßenjungen in geſitteten Ländern vergleihen. Wir brauchten nurx in einer Ee des Bazars etwas Eßbares zu kaufen, ſo folgten uns alle Hunde, an denen wix vorbeikamen, und verließen uns erſt wieder, wenn wir in eine andere Gaſſe traten, wo uns eine neue ähnliche Begleitung zu teil wurde. Sultan Mahmud ließ vor mehreren Fahren einige tauſend dieſer Hunde auf einen bei den Prinzeninfeln liegenden kahlen Felſen bringen, wo ſie einander auffraßen. Dieſe Verminderung hat aber nichts genüßt, denn die Fruchtbarkeit dieſer Geſchöpfe iſt großartig; faſt bei jedem Schritte findet man auf der Straße runde Löcher in den Kot gemacht, worin eine kleine Hundefamilie liegt, welhe hungernd den Zeitpunkt erwartet, wo ſie ſelbſtändig wird, um gleich ihren Vorfahren die Gaſſen Stambuls unangenehm und unſicher zu machen.“

Treu, ein in Konſtantinopel anſäſſiger Kaufmann, teilt mix weiteres über dieſe Hunde mit. „Jn Straßen, welche von Europäern bewohnt werden, können unſere Hunde unbehelligt gehen; in abgelegeneren Stadtteilen dagegen fallen die Straßenhunde niht allein über jene, ſondern unter Umſtänden auh über deren Herren her, falls dieſe niht ruhig gehen oder die Hunde reizen. Der eingebürgerte Fremde läßt die von Neulingen mehr als billig verahteten Geſchöpfe in Frieden, weil er exkennen gelernt hat, daß ſie in einer Stadt ohne jeglihe Geſundheitspflege, in welher man allerlei Abfall auf die Straßen, Tierleichen auf beliebige Pläße wirft, geradezu unentbehrlich ſind. Auch erhält jeder, welcher die Pariahunde ebenſo menſ<hli< behandelt, wie die Türken es zu thun pflegen, Beweiſe inniger Dankbarkeit und treuer Anhänglichkeit ſeitens dieſer armen, verkommenen Geſchöpfe, ſo daß er von manchem Vorurteile zurückkommen muß. Sie ihrerſeits bemühen ſich förmlich, in ein gutes Verhältnis zu dem Menſchen zu treten, und ſind beglü>t, wenn man ihnen entgegentkommt. Scharfe Beobachtungsgabe wird ihnen niemand abſprechen können; ſie unterſcheiden ſehr genau zwiſchen milden und hartherzigen Leuten, zwiſchen ſolchen, welche ihnen wohl-, und denen, welche ihnen übelwollen. Die Magd eines meiner Bekannten, welche den Straßenhunden öfters einige Knochen und ſonſtige Küchenabfälle zuwarf, wurde bei eingetretener Kälte wiederholt dur<h Anſchlagen des Thürklopfers gefoppt, bis ſie endlih dur<