Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/2

82 Vierte Ordnung: Raubtiere; fünfte Familie: Hunde.

„Troh der zuleßt erörterten Schwierigkeiten in Bezug auf die Fruchtbarkeit neigt ſich doh die Mehrheit der Beweiſe entſchieden zu gunſten des mehrfachen Urſprunges unſeres Hundes, zumal wenn wir bedenken, wie unwahrſcheinlich es iſt, daß der Menſch über die ganze Erde von einer ſo weitverbreiteten, ſo leiht zähmbaren und ſo nüßlihen Gruppe, wie die Hunde es ſind, nur eine Art an ſi<h gewöhnt haben ſollte, und wenn wir ferner das außerordentliche Alter der verſchiedenen Raſſen ſowie beſonders noch die überraſchende Ähnlichkeit bedenken, welche ebenſowohl im äußeren Baue wie in der Lebensweiſe zwiſchen den gezähmten Hunden verſchiedener Länder und den dieſelben Länder noh bewohnenden Arten von Wildhunden beſtehen.“

So wäre denn der Haushund nichts anderes als ein Kunſterzeugnis des Menſchen.

Ein lehrreiches Beiſpiel zu gunſten der oben mitgeteilten Angabe, daß Haushunde vollſtändig verwildern können, iſt der Dingo oder Warragal (Canis dingo, C. australasiíae), der ſogenannte Wildhund Auſtraliens, welchen, in anbetraht ſeiner Lebensweije, auh ih früher für eine der urſprünglichen Arten wilder Hunde gehalten habe, gegenwärtig aber, nachdem ih verſchiedene Stücke der fraglichen Art geſehen, nur für einen verwilderten Haushund erklären kann. Die Thatſache, daß der Dingo, außer einigen Flattertieren und mäuſeartigen Nagern, das einzige Säugetier Auſtraliens iſt, das nicht zu den Beutel- oder Gabeltieren gehört, iſt bei dieſer Frage von niht zu unterſhäßender Bedeutung. Gegengründe von einiger Erheblichkeit liegen niht vor, es ſei denn, daß man den angeblihen Fund von Dingoreſten in Diluvialablagerungen als ſolchen gelten laſſen wolle. Das Wie und Wann der Verwilderung läßt ſich freilih nicht beſtimmen, erſcheint aber auch ziemlih gleihgültig für die Entſcheidung der Frage gegenüber dem allgemeinen Gepräge des Tieres, dem Habitus, wie die Tierkundigen ſagen. Dieſes Gepräge aber iſt das eines Haushundes, niht eines Wildhundes.

Der Dingo erreiht ungefähr die Größe eines mittleren Schäferhundes. Seine Geſtalt iſt gedrungen, der Kopf groß und plump, ſtumpfnaſig und abgeſtußt, das aufrecht ſtehende Ohr an der Wurzel breit, an der Spitze abgerundet, der Shwanz, welcher bis über die Ferſe herabreiht, buſchig, die Gliederung ſtämmig, da die Beine nur eine geringe Höhe haben, das Fell ziemlih gleihmäßig, weder allzu diht noh auh zu dünn und an keinem Teile des Leibes verlängert. Bei den meiſten Stücken, welche ih geſehen habe, ſpielt die Färbung von einem unbeſtimmten blaßgelblihen Rot mehr oder weniger ins Graue, auh wohl ins Schwärzliche. Kinn, Kehle, Unterſeite und Schwanz pflegen heller, die Haare der Oberſeite meiſt dunkler zu ſein, weil die an der Wurzel lichteren Haare dunklere Spißen zeigen. Dbgleih gedachte Färbung vorherrſ<ht, kommen doh z. B. auh ſchwarz gefärbte Dingos vor, einzelne haben weiße Pfoten 2c.

Noch heutigestags findet ſih der Dingo faſt in allen dichteren Wäldern Auſtraliens, în den mit Buſchwerk ausgekleideten Shluchten, in den Hainen der parkähnlichen Steppen und in letzteren ſelbſt. Er reiht über das ganze Feſtland und iſt überall ziemlih häufig. Man hält ihn für den {limmſten Feind der Herden und verfolgt ihn auf jede Weiſe. Nach von Lendenfeld wird in manchen Gebieten ein Preis von 20 Mark für das Stü bezahlt; in Neuſüdwales ſoll man jährli<h mehrere Tonnen Stryhnin zum Vergiften verbrauchen.

Jn ſeiner Lebensweiſe und in ſeinem Betragen ähnelt der Dingo mehr unſerem Fuhſe als dem Wolfe. Wie dieſer liegt ex da, wo es unſicher iſt, den ganzen Tag in ſeinem Swhlupfwinkel verborgen und ſtreift dann erſt zur Nachtzeit umher, räuberiſch faſt alle auſtraliſhen Bodentiere bedrohend. An den Fuchs erinnert er auh dadurch, daß er nur ſelten in großen Geſellſchaften jagt. Gewöhnlich ſieht man Trupps von 5—6 Stü, meiſt eine Mutter mit ihren Kindern; do< kommt es vor, daß ſih bei einem Aaſe viele Dingos