Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

78 Zehnte Ordnung: Unpaarzeher; erſte Familie: Pferde.

Die Tropas machen ſehr kurze Tagereiſen; denn ſie legen, je nah Witterung und Beſchaffenheit des Weges, nur 14, höchſtens 21 km zurü>, wozu ſie 4—6 Stunden Zeit gebrauchen. Wenn die Tropa im Rancho, einem großen, leeren, auf einer Seite offenen Schuppen, mit Pfählen zum Anbinden der Tiere, nah zurügelegter Tagereiſe eintrifft, hat der dem Zuge vorauseilende Tropeiro bereits die erforderlichen Vorkehrungen zur Nachtherberge getroffen, namentlih aus einem benachbarten Verkaufsladen Futter herbeigeſchafft. Die ankommenden Maultiere werden unverzüglih an die erwähnten Pfähle gebunden und entlaſtet, ihre Packſättel gelüftet und, nachdem jene ſich abgekühlt haben, abgenommen, ihre Rü>ken genau unterſuht, wunde Stellen heilkünſtleriſh behandelt, fehlende Nägel in die Eiſen geſchlagen und ſonſtwie erforderliche Geſchäfte beſorgt. Unterdeſſen ſind die Tiere ungeduldig geworden; denn ſie haben das Geräuſch gehört, welches die Treiber verurſachen, wenn ſie Mais in die Futterſä>e ſchütten: ſie wiehern, ſcharren, ſtampfen, beruhigen ſih auch erſt, wenn jedem ſein Futterſa> umgehangen worden iſt. Und nun beginnen ſie die harten Körner zu zermalmen, und thun dies mit ſo viel Geräuſch, als wenn eine Schrotmühle in Bewegung geſeßt worden wäre. Sobald ſie die Mahlzeit beendet haben, werden ihnen Futterſäde und Halftern abgenommen; hierauf wälzen ſie ſich zUnächſt, ſuchen ſodann Waſſer zum Trinken auf und werden endlich auf die Weide gebracht. Sorgſame Tropeiros laſſen ſie abends no< einmal zum Rancho treiben und geben ihnen noh etwas Mais zu freſſen. Noch ehe der Morgen graut, werden ſie auf der Weide geſammelt und oft erſt nah langem Suchen und unter vieler Mühe zum Nancho zurückgebracht, gefüttert, beladen und wieder in Bewegung geſeßt.

Jn Peru und Chile werden alljährli< Maultiere in bedeutender Anzahl eingeführt und mit verhältnismäßig ſehr hohen Preiſen bezahlt. Man benußt ſie in der ausgedehnteſten Weiſe, ſowohl zum Reiten als auch zum Laſttragen. „Eine Eigentümlichkeit welche ih nirgend anderswo gefunden habe“, ſchreibt mir Haßkaxrl, „iſt die Sitte, bei Geſchäftsund anderen Beſuchen in Lima das Maultier zu verlaſſen, ohne es anzubinden. Das Tier bleibt vor dem Hauſe, welches ſein Reiter betreten hat, ruhig ſtehen, ohne ſih um das Hinund Herreiten anderer die Straße beſuchender Menſchen und Tiere zu kümmern. Reitet man ein Maultier, welches no< niht an das Warten gewöhnt iſt, ſo ſezt man ihm einen brillenartigen Augende>el von Leder auf und geht dann unbeſorgt ſeines Weges.“ Fm Mutterlande wendet man das Maultier allgemein zum Ziehen an und zahlt gern dieſelben Summen für ein Paar guter „Mulas“, welche ein Paar Pferde koſten. Eine Neiſe mit dem ſpaniſchen Eilwagen iſt eine wahre Höllenfahrt. Fünf Paar Maultiere werden hintereinander geſpannt; auf dem vorderſten Satteltiere ſißt der Vorreiter, hinten auf dem Boe der Kutſcher mit einer fürchterlichen Peitſhe und neben ihm noch ein beſonderer Maultiertreiber, welcher einen tüchtigen Knüttel führt.

Noch in der neueſten Zeit iſt wiederholt behauptet worden, daß Maultier oder Mauleſel unfruchtbar ſeien. Dies iſt jedo<h niht immer der Fall. Schon ſeit den älteſten Zeiten ſind Beiſpiele bekannt, daß die Blendlinge zwiſchen Eſel und Pferd wiederum Junge erzeugten; weil man aber ſol<h ein ungewöhnliches Geſchehnis als ein Hexenwerk oder ein unheildrohendes Ereignis betrachtete, ſind derartige Fälle oft verſhwiegen worden, und deshalb können wir bis jeßt auh nur von einigen Beiſpielen reden, welche die Fruchtbarkeit ſolher Baſtarde bſtätigen. Der erſte bekannte Fall ereignete ſih in Nom im Fahre 1527; ſpäter erfuhr man von zwei Fällen in San Domingo. Jn Valencia in Spanien wurde im Jahre 1762 eine ſchöne braune Maultierſtute mit einem prächtigen grauen Andaluſier gekreuzt und warf nach der üblihen Tragzeit im folgenden Jahre ein ſehr ſ<hönes, fuhsrotes Fohlen mit ſ<warzer Mähne, welches alle Eigenſchaften der guten, reinen Pferderaſſe zeigte, außerordentlich lebhaft und bereits im Alter von 2/2 Fahren zum Reiten geeignet war. Dieſelbe Stute