Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

112 Zehnte Ordnung: Unpaarzeher; dritte Familie: Nashörner.

Wendungen und Biegungen kann ein Nashorn freili<h niht ausführen; in ebenen Gegenden aber eilt es, wenn es einmal in Bewegung gekommen iſt, ſehr raſh davon. Es geht nicht, wie die Elefanten, im Paßgange, ſondern ſchreitet mit den ſih gegenüberſtehenden Vorderund Hinterbeinen aus. Es kann auch einen ret fördernden und ausdauernden Trab laufen. Fn allen Gangarten hält, na<h Selous* Beobachtungen, das Stumpfnashorn den Kopf gewöhnlich tief, das Doppelnashorn aber hoh; außerdem läuſt das no< junge Kalb von jener Art in der Regel vor, von dieſer Art aber hinter der Mutter einher. Das Shwimmen übt jedes Nashorn, hält ſich jedo< mehr an der Oberfläche und taucht niht ohne Not unter. Einzelne Berichterſtatter wollen jedo<h beobachtet haben, daß es in Sümpfen oder Flüſſen bis zum Grunde hinabtauche, dort mit dem Horne die Wurzeln und Ranken der Waſſerpflanzen aushebe und mit ſi< emporbringe, um ſie oben zu verzehren.

Untex den Sinnen der Nashörner ſteht das Gehör obenan, dann folgt der Geruch und auf dieſen das Gefühl. Das Geſicht iſt ſehr wenig ausgebildet. Das Gehör muß ſehr fein ſein; denn das Tier vernimmt das leiſeſte Geräuſch auf weite Entfernungen. Aber au< der Geſhma> iſt durchaus nicht zu leugnen; wenigſtens beobachtete ih bei zahmen , daß ihnen Zu>er ein höchſt erwünſchter Gegenſtand war und mit beſonderem Wohlgefallen von ihnen verzehrt wurde. Die Stimme beſteht in einein dumpfen Grunzen, welches bei größerer Wut in ein wildes Schnauben und Pruſten übergeht. Jn der Freiheit mag man dieſes Pruſten oft vernehmen; denn ein Nashorn iſt leiht in-Wut zu verſeßen, und ſeine Gleichgültigkeit gegen alles, was niht Futter heißt, kann ſih ſehr bald in das Gegenteil umwandeln. Six Stamford Raffles beobachtete, daß das Wara-Nashorn vor einem einzigen Hunde die Flucht ergriff, und andere Reiſende ſahen Nashörner eiligſt davonlaufen, nachdem ſie Menſchen gewittert hatten; allein dieſes Betragen ändert ſi< auh man<hmal, wenn ein Tier gereizt wird. Es achtet dann weder die Anzahl noh die Wehrhaftigkeit ſeiner Feinde, ſondern ſtürzt blindlings in gerader Linie auf den Gegenſtand ſeines Zornes los. Db dann eine Geſellſchaft bewaffneter Leute dem raſenden Tiere entgegenſteht, oder ob der Gegenſtand ſeiner Wut ein völlig harmloſer und unbedeutender iſt, ſcheint es wenig zu fümmern. Rote Farben ſollen ihm, wie dem Stiere, zuwider ſein; wenigſtens hat man es Anfälle auf grellfarbig gekleidete Menſchen ausführen ſehen, welche ihm niht das Geringſte zuleide gethan haben. Glülicherweiſe iſt es niht ſo ſ{<wer, einem in voller Wut dahinrennenden Nashorne zu entgehen. Der geübte Jäger läßt es bis auf etwa 10—15 Schritt herankommen und ſpringt dann zur Seite; der tobende Geſell rennt an ihm vorüber, verliert die Witterung, welche er bisher hatte, und ſtürzt nun auf gut Glü> vorwärts, vielleiht an einem anderen unſchuldigen Gegenſtande ſeinen Fngrimm auslaſſend.

Die Reizbarkeit der Nashörner verdunkelt den wahren Ausdru ihres geiſtigen Weſens und erſ<wert in hohem Grade eine richtige Beurteilung und gere<hte Würdigung ihres Verſtandes. Ungeachtet aller bisher mitgeteilten Beobachtungen kennt man das freilebende Tier no zu wenig, als daß man im ſtande wäre, ein einigermaßen zutreffendes Urteil zu fällen; man hat es ſelten wirklih beobachtet, ſondern bei der Begegnung entweder angegriffen oder geflohen. Die wenig entwielte Hirnkapſel ſeines Schädels, ſein kleines Gehirn, ſpricht allerdings niht für eine hohe geiſtige Entwi>elung, und ſeine leiblihe Trägheit ſcheint die Annahme auch einer geiſtigen Schwerfälligkeit zu re<htfertigen; es fragt ſich jedoch, ob die eine wie die andere Folgerung richtig iſt. Gefangene Nashörner bekunden zwar ebenfalls wenig geiſtige Begabung, keineswegs aber eine ſo auffallende Verſtandesarmut wie viele andere Mitglieder ihrer Klaſſe, beiſpielsweiſe alle Beuteltiere und die meiſten Nager. Viel eher und beſtimmter als dieſe und jene lernen ſie ihre Wärter kennen, fügen ſie ſih in die ihnen auferlegten Verhältniſſe, gewöhnen ſie ſih an eine gegen ihre frühere weſentlih veränderte Lebensweiſe; ſie laſſen ſi<h daher keineswegs ſchwierig behandeln. Wahrſcheinlich würden