Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

Alpenſteinbo>: Klimmen. Springen. Stimme. Sinne. 179

an Fels3wänden ſeine Schalen ſo weit ſpreizen, daß der Fuß eine um das Dreifache verbreiterte Fläche bildete.“

Gefangene Steinbö>e ſezen nicht minder in Erſtaunen als die freilebenden. Schinz beobachtete, daß ſie mit der größten Sicherheit den Plag erreihen, nah welchem ſie gezielt haben. Ein ganz junger Steinbo> in Bern ſprang einem großen Manne ohne Anlauf auf den Kopf und hielt ſih daſelbſt mit ſeinen vier Hufen feſt. Einen anderen ſah man mit allen vier Füßen auf der Spitze eines Pfahles, einen dritten auf der ſcharfen Kante eines Thürflügels ſtehen und eine ſenkre<hte Mauer hinaufſteigen, ohne andere Stüßpunkte als die Vorſprünge der Mauerſteine, welhe dur< den abgefallenen Mörtel ſichtbar waren, zu benußen. Gleihlaufend mit der Mauer ſprang er mit drei Säßen hinauf. Er ſtellte ſi dem Ziele, welches er erreichen wollte, gerade gegenüber und maß es mit dem Auge, durhlief ſodann mit kleinen Schritten einen gleihen Raum, kam mehrmals auf dieſelbe Stelle zurüE, ſchaukelte ſi<h auf ſeinen Beinen, als wenn ex deren Schnellkraſt verſuchen wollte, ſprang und war in drei Säßen oben. Ähnliche Kraftſtü>e führten die gefangenen Steinböte der faiſerlihen Menagerie in Schönbrunn zu wiederholten Malen aus, indem ſie die dur zwei in einem ſehr ſtumpfen Winkel zuſammenſtoßende Mauern gebildete Ee benußten, um die über 3 m hohe Wand zu erklimmen. Sie ſprangen von der einen Mauer gegen die andere, wandten ſih bei jedem Saße und erreichten ſo, anſcheinend ohne Anſtrengung, die Höhe mit wenigen Säßen. Beim Springen ſcheinen ſie die Felſen oder die Mauer kaum zu berühren und ihren Körper wie einen Ball in die Höhe zu ſ{hnellen. Wahrhaft bewunderungswürdig iſt auch die Sicherheit, mit welcher der Steinbo> über Abgründe und Felſenflüfte ſet. Spielend ſhwingt er ſi<h von einer Klippe zur anderen, und ohne Beſinnen ſpringt er aus bedeutenden Höhen hinab in die Tiefe. Die alten kindlichen Berichterſtatter erſannen wunderliche Märchen, um dieſe auffallenden Fähigkeiten der Steinböcke zu erklären, und manche dieſer Märchen haben ſih Jahrhunderte fortgeſponnen, werden auh heute noh von Unbewanderten auf Treu und Glauben hingenommen. So meint Ges ner, daß das Tier ſeine gewaltigen Hörner hauptſächli<h dazu benußze, um ſih aus bedeutenden Höhen auf ſie zu ſtürzen, ſie aber au<h anwende, um herabrollende, ihm Verderben drohende Steine aufzufangen. Wenn der Steinbo> merke daß er ſterben müſſe, ſteige er auf des Gebirges höchſten Kamm, ſtüße ſi<h mit den Hörnern auf einen Felſen, gehe in Kreiſen rings um denſelben herum und treibe dieſes Spiel fort, bis daß die Hörner ganz abgeſchliffen wären: dann falle er um und verende.

Die Stimme des Steinboes ähnelt dem Pfeifen der Gemſe, iſt aber gedehnter. Erſ<hre>t läßt er ein kurzes Nieſen, erzürnt ein geräuſchvolles Blaſen durch die Naſenlöcher vernehmen; in der Fugend med>ert er. Unter den Sinnen ſteht das Geſicht obenan. Das Auge des Steinwildes iſt nah Wilczeks Erfahrungen viel ſchärfer, die Witterung dagegen weit geringer als bei dem Gemswilde, das Gehör vortrefflih. Die geiſtigen Begabungen dürften mit denen der Ziegen insgeſamt auf derſelben Stufe ſtehen, wie auh das Weſen im allgemeinen mit dem Auftreten und Gebaren der Hausziegen übereinſtimmt. Ein hoher Grad von Verſtand läßt ſi<h niht in Abrede ſtellen. Der Steinbo> beweiſt ſeine Klugheit dur< die Wahl ſeiner Aufenthaltsorte und Wechſel, dur berehnende Vorſicht, geſchi>tes Ausweichen von Gefahren und leihtes Sichfügen in veränderte Umſtände. Nach Art der Ziegen gefällt er ſi< in der Jugend in ne>iſhen, no< im Alter ſelbſt in mutwilligen Streichen, tritt aber immer ſelbſtbewußt auf und bekundet erforderlichen Falls hohen Mut, Nauf- und Kampfluſt. Gefährlichen Tieren weicht er aus, ſchwächere behandelt er übermütig oder beachtet ſie kaum. Mit den Gemſen will ex, wie behauptet wird, nichts zu thun haben; Hausziegen dagegen ſucht er, vielleicht in rihtiger Erkenntnis der zwiſchen beiden beſtehenden Verwandtſchaſt, förmlich auf, paart ſih au freiwillig mit ihnen.

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