Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

202 Elfte Ordnung: Paarzeher; dritte Familie; Horntiere.

Schnee ſei und zur Verfertigung des Kamelottes verwendet werde. Fhren Namen trägt die Ziege nach der kleinen Stadt Angora im türkiſchen Paſchalik Anadoli in Kleinaſien, der ſhon bei den Alten ho<hberühmten Handelsſtadt Ankyra. Jhre Heimatsgegend iſt troœen und heiß im Sommer, jedo< ſehr falt im Winter, obwohl dieſer nur 3 oder 4 Monate dauert. Erſt wenn es keine Nahrung auf den Bergen mehr gibt, bringt man die Ziegen in ſchlechte Ställe, wogegen ſie das ganze übrige Jahr auf der Weide verweilen müſſen. Sie ſind höchſt empfindlih, obwohl die ſ{<hle<te Behandlung nicht dazu beiträgt, ſie zu verweihlihen. Reine, tro>ene Luft iſt zu ihrem Wohlſein eine unumgänglih notwendige Bedingung. Während der heißen Jahreszeit wäſcht und kämmt man das Vließ allmonatli<h mehrere Male, um ſeine Schönheit zu erhalten oder no< zu ſteigern.

Die Anzahl der Ziegen, wel<he man überhaupt in Anadoli hält, wird auf eine halbe Million angeſ<hlagen. Auf einen Bod kommen etwa 100 Ziegen und darüber. Fm April iſt die Schux, und unmittelbar darauf wird die Wolle der Mohair, eingepa>t. Angora allein liefert faſt 1 Million Xe, welche einem Werte von 83,6 Millionen Mark entſprechen. Ein Teil davon wird im Lande ſelbſt zur Fertigung ſtarker Stoffe für die Männer und feinerer für die Frauen ſowie au< zu Strümpfen und Handſchuhen verarbeitet, alles übrige geht na< England. Jn Angora ſelbſt iſt faſt jeder Bürger Wollhändler. Man hat beobachtet, daß die Feinheit des Mohairs mit dem Alter ſeiner Erzeuger abnimmt. Bei einjährigen Tieren iſt das Vließ wunderbar ſ{<hön; ſhon im zweiten Jahre verliert es etwas; vom vierten Jahre an wird es raſh ſhle<ter und ſ<hle<hter; ſe<sjährige Tiere muß man ſchlachten, weil ſie zur Wollerzeugung gar niht mehr geeignet ſind.

Schon ſeit der erſten Kunde, welhe man über die Angoraziege erhielt, hat man Verſuche gemacht, ſie bei uns einzuführen. Die ſpaniſche Regierung brachte im Fahre 1765 einen ſtarken Trupp Angoraziegen nah der Jberiſchen Halbinſel; was aus ihnen geworden iſt, weiß man aber niht. Jm Jahre 1787 führte man einige hundert in den franzöſiſchen Niederalpen ein, woſelbſt ſie ſo ausgezeihnet gediehen, daß man einen hübſchen Gewinn erlangte. Später brachte man ſie auh na< Toscana und ſelbſt nah Schweden. Fm Fahre 1830 faufte Ferdinand VIT. 100 Angoraziegen, ſebte ſie zuerſt im Parke des Schloſſes El Retiro bei Madrid aus und brachte ſie ſpäter in die Umgegend des Escorial. Fn dieſer ihnen ſehr günſtigen Gegend machte man die Beobachtung, daß ihre Wolle ſih ebenſo fein erhielt wie in ihrem eigentlihen Vaterlande. Später wurden ſie nah Südcarolina gebracht, und auh dort befanden ſie ſi< wohl. Endlich führte die kaiſerlich franzöſiſche Geſellſchaft für Einbürgerung fremder Tiere im Fahre 1854 die Angoraziege von neuem in Frankreich ein, und man hat bis jezt keine Urſache gehabt, über das Mißgedeihen derſelben zu klagen; es wird ſogar behauptet, daß die Wolle der in Frankreich geborenen Tiere feiner wäre als die ihrer Eltern. Nur die Bo>zeit hat das franzöſiſche Klima verändert. Bei der Einführung paarten ſi< die Angoraziegen im Oktober, ſpäter aber immer im September. Sie fürchten ebenſowenig Hite wie große Kälte, ſind auh nux unmittelbar nah der Schur ſo empfindlich, daß Erkältung ſie töten kann; Feuchtigkeit aber wird ihnen verderblich. Nach genauen Bere<nungen, wel<he man angeſtellt hat, ergab ſich ein Reingewinn von jährlich 23,74 Frank jür jede Ziege, wobei zu erwägen, daß man in Frankreich die Stallfütterung anwendet, die Haltung dieſer Tiere alſo in tro>enen Ländern, wie Spanien, Algier 2c., noh weit vorteilhafter ſein wird. Schon jeßt hat man feſtgeſtellt, daß die Zucht viel gewinnreiher iſt als die der Schafe, und es ſteht zu erwarten, daß ſich dieſes wertvolle Tier nah und nah weiter und weiter verbreiten wird.

Auch im Kaplande iſt die Angoraziege mit ausgezeihnetem Erfolge eingeführt worden. Nachdem ſchon frühex Henderſon, White und andere einige Tiere nah dem Kap gebracht hatten, gelang es 1856 den Brüdern Moſenthal, viele Stücke von reinſter Raſſe zu erwerben.