Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 1/3

Hausziegen: Angora- und Kaſchmivziege. 203

Andere folgten nah, und die Nachfrage ſteigerte ſih derartig, daß im Jahre 1880 die beſten friſch eingeführten Böcke mit 2000—8000 Mark bezahlt wurden. Die Nachzucht glü>te vortrefflih, die Tiere gediehen ſehr gut. Die Ausfuhr von Mohair ſtieg überraſchend ſchnell: im Fahre 1862 betrug die erſte kaum 500 ke, im Jahre 1885 aber ſchon 2,4 Millionen ke im deklarierten Werte von mehr als 4 Millionen Mark. Da iſ es niht zu verwundern, wenn die Kapländer hoffen, die Aſiaten ſowohl in der Menge als auch in der Güte ihres Mohairs bald zu überflügeln.

Kaum minder wertvoll als die eben beſchriebene iſt die Kaſhmirziege (Capra hixreus laniger), ein ziemli< feines, aber gefällig gebautes Tier von beinahe 1,5 m Geſamtlänge und 60 cm Schulterhöhe. Der auf ſtämmigen Läufen ruhende Leib iſt geſtre>t, der Rücken gerundet, das Kreuz kaum höher als der Widerriſt, der Hals kurz, der Kopf ziemlich did, die Augen ſind klein, die Hängeohren etwas länger als der halbe Kopf, die langen, zuſammengedrüdten, ſ<hraubenförmig gedrehten, auf der Vorderſeite ſcharf gekanteten Hörner biegen ſih von der Wurzel ſeitli< auseinander und ſteigen ſchief nah auf- und rü>wärts, fehren abex ihre Spige wieder einwärts. Ein langes, ſtraffes, feines und ſ{hli<htes Grannenhaar überde>t die kurze, außerordentlich feine, weiche, flaumartige Wolle; nur Geſicht und Dhren ſind kurz behaart. Die Färbung wechſelt. Gewöhnlich ſind die Seiten des Kopfes, der Schwanz und die übrigen Teile des Leibes ſilberweiß oder {hwach gelblich, jedoch commen auh einfarbige Kaſchmirziegen vor, und zwar rein weiße, ſanft gelbe oder hellbraune fowie dunkelbraune und ſhwarze. Das Wollhaar iſt bei licht gefärbten Tieren weiß oder weißlihgrau, bei dunkleren aſhgrau. Von Tibet an reiht der Verbreitungskreis dieſer ſchönen Ziege über Buchara bis zum Lande der Kirgiſen. Fn Bengalen wurde ſie eingeführt; in den Gebirgen Tibets, welche au< im Winter und bei der heftigſten Kälte von ihr bewohnt werden, iſt ſie häufig.

Lange Zeit war man im Zweifel, von welchem Tiere das Haar gewonnen werde, welches man zux Anfertigung der feinſten aller Wollgewebe benutt, bis Bernier, ein franzöſiſcher Arzt, welcher im Fahre 1664 in Begleitung des Großmoguls Tibet beſuchte, erfuhr, daß zwei Ziegen, eine wild lebende und eine gezähmte, ſolhe Wolle lieferten. Später reiſte ein armeniſcher Kaufmann im Auftrage eines türkiſhen Handelshauſes nah Kaſchmir und berichtete, daß man nur in Tibet Ziegen beſißze, welche ſo feine Wolle liefern, wie die Weber in Kaſchmir ſie bedürfen. Die Böcke liefern mehr, aber minder feine Wolle als die Ziegen. Jm Mai und Juni findet die Schur ſtatt. Das gewonnene Gemenge wird gereinigt und das Grannenhaar zur Fertigung gewöhnlicher Stoffe verwendet, wogegen das Wollhaar noh einmal der ſorgfältigſten Prüfung und Ausſcheidung unterliegt. Am geſuchteſten iſt das reine Weiß, welches in der That den Glanz und die Schönheit der Seide beſitzt. Ein einzelnes Tier liefert etwa 0, 3—0,4 kg brau<hbaren Wollflaums.

Unter der Herrſchaft der Großmoguls ſollen 40,000 Shawlwebereien in Kaſchmir beſtanden haben; allmählih aber ſank dieſer gewihtige Erwerbszweig ſo ſehr herab, daß von den 60,000 Menſchen, denen die Weberei ihren Lebensunterhalt verſchaffte, tauſende aus Mangel an Arbeit zum Auswandern gezwungen wurden. Noch jeßt hat ſich die Weberei nicht wieder erholen können.

Erfklärlicherweiſe dachte man ſchon ſeit Fahren daran, dieſes gewinnbringende Tier in Europa einzubürgern. Ternaux, welcher die Shawlwebereien in Frankreich einführte, kam auf den Gedanken, ſi< Kaſchmirziegen zu verſchaffen, und der berühmte Jaubert bot ihm ſeine Dienſte zur ‘Erreiung des Zwedes an. Jm Fahre 1818 ſchiſte ſich lezterer nach Odeſſa ein, erfuhr hier, daß die Nomadenſtämme in den Steppen zwiſchen Aſtrachan und Drenburg E hielten, reiſte zu dieſen Leuten, überzeugte ſi<h dur<h genaue