Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Kolibris: Farbenſpiel. Ruhe. Stimme. Sinnesſchärſe. * 683

BeobaŸhter, ſo Leſſon, behaupten, daß die Kolibris gewöhnlich ſtill wären, und man ſtundenlang unter einem Baume verweilen könne, ohne einen Laut von ihnen zu vernehmen. Dagegen ſprechen andere, durhaus übereinſtimmend, von einem gegliederten Geſange gewiſſer Arten. „Der Zwergkolibri“/, ſagt Goſſe, „iſt der einzige, der einen wirklichen Geſang zum beſten gibt. Jm Frühlinge ſieht man ihn ſofort nah Sonnenaufgang auf den höchſten Zweigen der Mango- und Orangenbäume ſißen und hört ihn hier ein zwar ſchwaches, aber höchſt angenehm Élingendes Liedchen vortragen, zuweilen 10 Minuten lang faſt ununterbrochen, wenn au< mit nur geringer Abwechſelung.“

Gundlach gedenkt einer anderen Art (Orthorhynehus boothi) mit folgenden Worten: „Jh konnte mi<h dem Vögelchen bis auf anderthalb Meter nähern, um es zu beobachten und ſeinen zuſammengeſeßten, feinen und wohltönenden Geſang zu hören, wobei das Männghhen dann oft ſenkre<t bis zu einer verhältnis8mäßig bedeutenden Höhe ſtieg und einen feinen, eintönigen Triller hören ließ.“ Beim Singen bewegen ſi<, wie Gundlach an einer anderen Stelle bemerkt, die langen Kehlfedern und ſchillern dann prächtig. „Ein goldglänzender Kolibri“, erzählt von Kittliß, „ließ ſißend, mit halb ausgebreiteten Flügeln, einen re<t wohlklingenden und ziemli<h lauten Geſang hören, was mix um ſo mehr auffiel, als die Stimme der Kolibris gewöhnli<h nur aus kreiſchenden Tönen beſtehen ſoll.“ Leider fonnte dieſer Forſcher den von ihm herabgeſchoſſenen Vogel nicht auffinden und jomit die Art nicht beſtimmen. Dieſe Angaben genügen meiner Anſicht nach vollkommen, um jene Meinung zu widerlegen. Unzweifelhaft wird man auch von anderen Kolibris Ähnliches beobachtet haben oder no< beobachten, wenn man erſt dahin gekommen ſein wird, die Lebensweiſe der einzelnen Arten vergleichend zu erforſchen. Einſtweilen geht es uns noch wie jedem Forſcher, welcher nur kurze Zeit in Amerika verlebt hat. „Bei meiner erſten Ankunft in Guatemala“ ſagt Salvin, „ſchienen mir die verſchiedenen Arten von Kolibris in ihren Sitten und Gewohnheiten, in ihrer Stimme und in ihrem Summen vollſtändig übereinzuſtimmen; ſpätere Erfahrungen aber und beſtändige Aufmerkſamkeit belehrten mi, daß jede Art ihr Eigentümliches hat, und ſo war ih ſhon nach kurzer Zeit im ſtande, die Arten an ihrem Schimmer oder, wenn ih ſie niht ſah, mit ziemlicher Sicherheit an dem Summen oder an ihrem Geſchrei zu erkennen. Es iſt allerdings ſ{<wer, dieſe Unterſchiede mit Worten auszudrücen/ aber ſie ſind do< merkbar.“

Die Sinne der Kolibris ſcheinen ziemlich gleihmäßig und hoch entwi>elt zu ſein. Alle Beobachtungen laſſen mit Beſtimmtheit ſ{ließen, daß das Geſicht ausnehmend ſcharf ſein muß. Man erkennt dies an ihren Bewegungen im Fluge und muß es annehmen, wenn man ſieht, wie ſie kleine, unſerem Auge vollſtändig unſichtbare Kerbtiere im Fluge fangen. Ebenſo dürfen wir überzeugt ſein, daß ihr Gehör dem anderer Vögel niht nachſteht, wenn au hierüber beſtimmte Beobachtungen nicht vorliegen. Der Sinn des Gefühles, d. h. hier der Taſtſinn, iſt gewiß hoh entwi>elt; denn wäre dies niht der Fall, ſo würde es ihnen unmöglich ſein, den Hauptteil ihrer Nahrung aus der Tiefe der Blumen hervorzuziehen. „Sie wiſſen niht“, wie Burmeiſter ſehr rihtig ſagt, „ob die Blume für ſie etwas Brauchbares enthalten wird, ſtehen darum ſ{webend vor ihr, ſenken ihre Zunge in die Tiefe und halten ſi dabei dur beſtändigen Flügelſchlag genau auf derſelben Stelle, bis ſie eine Blüte nah der anderen unterſucht haben.“ Die Zunge übernimmt hier faſt genau dieſelbe Arbeit wie die der Spechte: ſie prüft die anderen Sinnen unzugänglichen Schlupfwinkel. Fhr feines Gefühl erfundet die Beute und leitet das Werkzeug ſelbſt beim Aufnehmen. Geſhma> beweiſen die Kolibris dur< ihre Vorliebe für Süßigkeiten. Über den Geruch läßt ſi<h kaum ein Urteil fällen; doh dürfen wir wohl annehmen, daß dieſer Sinn nicht verkümmert iſt.

Der wohlgebildete, gewölbte Schädel läßt im voraus den Schluß zu, daß auch die rein geiſtigen Fähigkeiten der Kolibris auf einer ziemlih hohen Stufe der Entwickelung ſtehen.