Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

684 Erſte Ordnung: Baumvögel; zweiunddreißigſte Familie: Kolibris.

Leichter als bei anderen Klaſſenverwandten kann bei ihnen die Beobachtung täuſchen, und deshalb ſind die Urteile der Forſcher ſehr verſchieden. Solange die Kolibris ſi frei bewegen, lernt man ſie nux unvollſtändig fennen. Jhre Unruhe und Raſtloſigkeit, die Schnelligkeit ihrer Bewegung, ihre Kleinheit und ihre große Anzahl erſchweren dem Beobachter, ihnen zu folgen: ſo viel aber lernt er do< erkennen, daß ſie ſchr wohl zu unterſcheiden wiſſen zwiſchen Freunden und Feinden, zwiſhen Nübßlichem und Schädlichem, daß ihnen gewährter Schuß ſie zutraulih und Verfolgung ſie ſcheu und vorſichtig maht. Weitaus in den meiſten Fällen bekunden ſie eine Vertrauensſeligkeit, die ihnen verderblih wird; dies aber iſt einfa Folge ihrer außerordentlihen Gewandtheit und der Sicherheit in jeder ihrer Bewegungen. Sie tragen, um mich ſo auszudrü>en, das Bewußtſein in ſi, jeder Gefahr no< rechtzeitig entrinnen zu können. Solange es ſi< darum handelt, ſih vor ihren natürlihen Feinden zu bergen, wird ſie dies Bewußtſein ſ{<hwerli< täuſhen. Dem Menſchen gegenüber freilih iſt allzu großes Vertrauen oft übel angewandt, und deshalb gerade fallen ſie ihm ſo häufig und ſo leiht zum Opfer.

Bevor wir zur Betrachtung des Weſens und Betragens oder der Lebensweiſe übergehen, wird es notwendig ſein, erſt über die Nahrung ins reine zu kommen; denn ſie beſtimmt, wie bereits wiederholt angedeutet, das Leben weſentlih mit. Bekanntlich herrſchen hinſichtlih der Nahrung der Kolibris noc vielfach irrige Anſichten. Die alte Meinung war, daß ſie fih von dem Blumenhonig nähren, oder wenigſtens, daß Blumenhonig die Hauptmenge ihrer Nahrung bilde. „Sehr natürli war es“, ſagt der Prinz von Wied, „daß man bei den vielen empfehlenden Eigenſchaften dieſer kleinen Tiere in den Schriften der Reiſenden häufig Nachrichten von ihnen findet, ebenſo auffallend war, daß gewiſſe wihtige Teile ihrer Naturgeſchichte für uns immer in einem Halbdunkel verborgen blieben. Hierher gehört ganz beſonders ihre Nahrung. Begreiflih iſt es, daß man dieſen niedlichen Tieren, die ihren langen, zarten Schnabel in röhrenförmige Blumen verſenken, eine ihrer Schönheit angemeſſene Nahrung in den ſüßen Honigſäften der Pflanzen zuſchrieb. Da man ihre lange Zunge für röhrenförmig hielt, ſo glaubte man auch, ſie müßte Blumennektar ſaugen, und man lieſt deshalb noh jeßt in verſchiedenen Werken von dem Honigſaugen der Kolibris. Azara, ein ſonſt gewiſſenhafter Schriftſteller, hatte dieſen wihtigen Teil der Naturgeſchichte unſerer kleinen Vögel nicht ſelbſt unterſuht, und er iſt daher bei der irrigen, bisher allgemein angenommenen Meinung ſtehen geblieben. Er war in der günſtigſten Lage, uns über dieſen Gegenſtand zu belehren, verdient aber mit Recht den Vorwurf, daß er ſich einzig und allein an die äußere Geſtalt der Vögel hielt, ſonſt würde er ihre Geſchichte richtiger erkannt haben. Einige andere Schriftſteller haben den Frrweg bemerkt, auf welchem die Vogelkundigen ſih befanden, und unter ihnen muß zuerſt Badier genannt werden, der die Kerbtiernahrung der Kolibris entde>te.“

Dieſer Forſcher berichtete, wie ih ergänzend hinzufügen will, bereits im Fahre 1778, daß ihm ſehr erklärlih ſei, warum alle Kolibris, welche man mit Zu>erwaſſer und Sirup zu ernähren geſucht habe, nah kurzer Zeit geſtorben ſeien, da ſie Blumennektar höchſtens zufällig mit verſ<hlu>en, in Wirklichkeit aber ganz kleine Käferchen verzehren, und zwar diejenigen, welche ſih auf dem Boden der Blumenkelche aufhalten und von dem Honig nähren. Er ſ{oß und unterſuchte verſchiedene Kolibris und fand bei allen Käfer- und Spinnenreſte im Magen. Zwei gefangene fütterte ex etwa 6 Wochen lang mit Sirup und Zwieba>; aber ſie wurden immer ſchwächer, ſtarben, und bei der Zergliederung fand ſih in ihren zerriebenen Därmen kriſtalliſierter Zu>ker. Brandes überſeßte ungefähr um dieſelbe Zeit Molinas Naturgeſchichte von Chile und gelangte zu derſelben Überzeugung wie Badier. Ausführlicheres veröffentlichte Wilſon im Fahre 1810. „Man hat bis jeßt die Anſicht gehegt“, ſagt ex, „daß der Kolibri ſih von dem Honig der Pflanzen nähre, und ein