Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Kolibris: Nahrung. Gebaren. 687

Überſicht der Tiere Braſiliens daß die Kolibris niemals Kerbtiere im Fluge fangen. Er beſtätigt Bullo>s Angabe bezüglih der Spinnen, ſtellt aber die übereinſtimmenden Beobachtungen der angegebenen Naturforſcher, die er zweifellos gekannt haben wird, entſchieden in Abrede. „Jh habe geſehen“, ſagt er, „wie Kolibris kleine Fliegen aus frei ſ{hwebenden Spinnenneſtern nahmen, indem ſie vor dieſen ebenſo ſtanden wie vor den Blumen, und fonnte deutlih bemerken, wie der ru>weiſe ab- und zufliegende Vogel eine Mücke nah der andern herausholte. Die Spinnen ſuchen ihn dabei nur ſelten zu ſtören, die meiſten laſſen es ruhig geſchehen, weil, wenn ſie unvorſichtig zu weit vorfahren, auch ſie vom Kolibri weggeſhnappt werden, namentlich die kleineren. Die Kerbtiernahrung iſt ſomit bewieſen, und jet bezweifelt ſie wohl niemand mehr. Nie aber fangen die Kolibris ein Kerbtier im Fluge, und weil ſie das niht können, ſind ſie genötigt, die kleinen Tierchen aus den Blüten zu holen. Auch Honig mag dabei an ihre Zunge kommen; aber er iſt höchſtens eine Zugabe, nicht das Ziel, nah welchem ſie ihre Zunge ausſtre>en, Die dichteriſche Benennung „Blumenküſſer“ deutet das Verhältnis alſo niht ganz richtig; der Kolibri will mehr als bloßes Küſſen: er lebt wirklih nur durch die Blumen. Warum der kleine Vogel ſeine Beute niht im Fluge fängt, wie es ſo viele andere Vögel thun, iſt leiht zu erklären, wenn man den langen, dünnen Schnabel mit der engen Mundöffnung betrachtet und dagegen den furzen Schnabel und das weite Maul der Shwalbe nimmt. Alle Vögel, welche Kerbtiere im Fluge fangen, haben kurze oder flahe Schnäbel, eine weite Mundöffnung und lange Bartborſten am Mundwinkel. Ja, dieſe drei Eigenſchaſten ſtehen zur Größe ihrer Beute und der Sicherheit, womit ſie dana<h ſchnappen, ſtets im geraden Verhältnis. Ein Vogel alſo, der gleih dem Kolibri von dieſen drei Eigenſchaften das Gegenteil beſißt, ann niht Kerbtiere im Fluge fangen: er muß ſißende aufſuchen, ſei es, daß er ſie, gleich dem Spechte, aus den Fugen und Spalten der Stämme hervorklaubt oder, wie der Kolibri, im Kelche der Blumen erhaſht. Zu beiden Geſchäften gehört eine lange Zunge, die bei dem Spechte dur fadenförmige Verlängerung der Zungenbeinhörner, beim Kolibri durch den gleichen Bau der Zunge ſelbſt bewerkſtelligt wird.“ Aus dieſen Worten Burmeiſters geht das eine deutli<h hervor, daß er die Kolibris niht beobachtet hat, während ſie Kerbtiere im Fluge fingen, mehr aber auh niht. Wilſon, Audubon und Goſſe ſind zu ſorgfältige und g!aubwürdige Beobachter, als daß wir ihren Angaben nicht unbedingt vertrauen dürften.

Heimat und Örtlichkeit, die Verſchiedenheit der Blumen, die Nahrung gewähren, und andere äußere Verhältniſſe üben alſo einen ſehr großen Einfluß aus auf die Lebensweiſe der verſchiedenen Kolibris; aber au<h das Weſen der verſchiedenen Arten unterſcheidet ſich niht unerhebli<h. Faſt alle Kolibris ſind e<hte Tagvögel. Sie lieben die Wärme und ſuchen den Schatten niht, leiden dagegen ſehr unter der Kälte. Einzelne Reiſende haben freili<h das Gegenteil hiervon behauptet; aber de Sauſſure verſichert, ſie, in Mexiko wenigſtens, niemals in den dunkeln, ſchattigen, ausgedehnten Waldungen, wohl aber, auh um die Mittagszeit, in voller Sonne auf freien oder nux dünn mit Büſchen und Blumen beſtandenen Stre>ten umherſhwärmen geſehen zu haben. Wenn die Agave in voller Blüte ſteht, ſind die Zweige des mächtigen Schoſſes, der hoh über dem Boden die leuchtenden Blüten trägt, auch in den heißeſten Mittagsſtunden von ihnen umſhwärmt, und wenn der Mais blüht, kann man zu gewiſſen Tagesſtunden das ganze Feld von ihnen erfüllt ſehen oder aber das Summen und Schwirren ihrer Flügelſchläge, ihr {<waches Zirpen allerorten vernehmen. Demungeachtet gibt es mehrere, die als Dämmerungsvögel bezeichnet werden dürfen und nur in den Früh- oder Abendſtunden ihre Jagd betreiben, während des heißen Mittags aber im tiefen Schatten der Bäume der Ruhe pflegen. So berichtet Waterton und na< ihm Schomburgk von dem Topaskolibri, daß er bloß während der kühleren