Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Kolibris: Gefangenleben. Feinde. 699

Kolibris“, ſagt er, „die ih lebend hierher brachte, waren ſo gelehrig und furchtlos, wie ein großer Schmetterling oder irgend ein anderes Kerbtier bei ähnlicher Behandlung ſein würde. Der Käfig, in welchem ſie lebten, war 30 cm lang, 15 em breit und 20 cm hoh. Jn ihm befand ſi ein kleiner Baumzweig, und an der Seite hing eine Glasflaſche, die täglih mit Sirup und dem Dotter eines ungeſottenen Eies gefüllt wurde. Bei dieſer Nahrung ſchienen ſie zu gedeihen und glü>li< zu ſein, do< nur während der Fahrt längs der Küſte von Amerika und über das Atlantiſche Weltmeer, bis ſie innerhalb des Einfluſſes des europäiſchen Klimas kamen. Auf der Höhe des weſtlihen Teiles von Frland gaben ſih unverkennbare Zeichen der Abſhwächung kund, und von dieſer erholten ſie ſih nie mehr. Dennoch gelang es mir, einen von ihnen lebend na< London zu bringen. Hier ſtarb er am zweiten Tage nach ſeiner Ankunft in meinem Hauſe.“

Die Schönheit und Zierlichkeit der Kolibris haben ihnen die Liebe aller Amerikaner erworben. Deshalb ſtellt man ihnen auch eigentlih nur dann nach, wenn ein ſammelnder Europäer dies wünſcht. Jn den alten Reiſewerken und Naturgeſchichten ſteht zu leſen, daß man die kleinen Vögel bloß mit Sand oder Waſſer ſchießen könne. Audubon hat ſi verleiten laſſen, dies zu verſuchen, und gefunden, daß die aus Waſſer beſtehende Ladung wohl das Gewehr einſ<hmugt, niht aber Kolibris tötet. Feiner Vogeldunſt iſt volllommen geeignet zur Jagd der Kolibris, falls man nur die re<te Ladung und die rechte Entfernung beim Schießen zu treffen weiß. Jm übrigen verurſacht die Jagd weder Mühe, noh beanſprucht ſie Geſchiflichkeit. Man braucht ſi< nux unter einen blühenden Baum auf die Lauer zu legen und im geeigneten Augenbli>e auf den vor der Blume ſ{<hwebenden Kolibri zu ſchießen. Auf dieſe Art kann man im Laufe eines Vormittags ſo viele erlegen, wie man eben will. Wirklichen Nußzen gewähren die Toten übrigens nur dem Naturforſcher; denn die alten Zeiten, in denen die vornehmen Mexikaner ihr Kleid mit Kolibribälgen ſ<hmüd>ten, ſind vorüber. Freilich iſt es au< jeßt no< zeitweilig Mode, Damenhüte mit den BVälgen der reizenden Geſchöpfe zu ſ<hmüd>en.

Außer den Menſchen ſcheinen die Kolibris wenige oder gar keine Feinde zu haben. Es iſt kaum anzunehmen, daß ſie dem Angriffe der Raubvögel oder der Raubtiere überhaupt ausgeſeßt ſind; denn es gibt fein Raubtier, das ihnen an Schnelligkeit gleihkäme. Die Jungen hingegen mögen oft die Beute der kletternden Raubſäugetiere oder der neſterplündernden Vögel werden: daraufhin würde wenigſtens der Eifer ſchließen, mit welhem Kolibris derartige Vögel anzugreifen pflegen. Fm allgemeinen ſcheinen die geflügelten Edelſteine wenig behelligt zu ſein. Dies beweiſt ſhon die außerordentlihe Anzahl, in welcher ſie ungeachtet ihrer geringen Vermehrung überall auftreten. Früher hat man ſi viel mit fabelhaften Feinden, die ſie bedrohen ſollen, beſchäftigt; man hat namentlich die große Vogelſpinne mit ihnen in Verbindung gebracht und geglaubt, daß ſie von jener oft gefangen würden, wie Fliegen von der Kreuzſpinne. Unſere heutige Kenntnis des Weſens der Kolibris berehtigt uns jedoh, an den von Fräulein Merian und von Paliſot de Beauvois erzählten Geſchichten dieſer Art zu zweifeln, obſchon wir annehmen dürfen, daß ein kleiner Kolibri von den ſtarken Neßen größerer Spinnenarten wohl feſtgehalten und dann wohl au< von der Neßſtri>kerin angefreſſen werden wird. Die Kolibris ſind aber nicht ſo täppiſh, wie z. B. die kleinen Finken, von denen Bates einmal ihrer zwei in einem Spinnennete eingewid>elt fand: ſie kennen dieſe Gefahr und wiſſen ihr, wie Bullo>s Beobachtungen dargethan, mit Erfolg zu begegnen.