Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 2/1

Alpenſegler: Fortpflanzung. Feinde, Gefangenleben. IUS g

„Ein großer Nuzßen im Haushalte der Natur“, ſagt Girtanner, „kann unſerem Alpenſegler nicht gerade nahgewieſen werden; noh viel weniger aber laſtet der leiſeſte Verdat eines Schadens auf ihm. Durch ſein Geſchrei macht er ſi<h niht beliebt, und des Fleiſches halber lohnt es ſih hier zu Lande nicht, ihn zu jagen. Die außerordentliche Anzahl fliegender Kerbtiere, die er vertilgt, iſt aber wohl zu bemerken und der Eindru>, den er auf den Beobachter übt, ihm ebenfalls gutzuſchreiben. Sein fröhliches Geſchrei hoch über den unheimlich ſtillen Gehängen belebt die ödeſten Felſen, und es lohnt ſih wohl der Mühe, im Gebirge einem Schwarme der in der Sonne flimmernden Vögel zuzuſehen, ihre Spiele und Kämpfe, ihr ganzes feſſelndes Leben und Treiben zu beobachten.“

Obwohl vorauszuſehen war, daß das Leben dieſes Vogels in der Gefangenſchaft ein ſehr kümmerliches ſein müſſe, glaubte Girtanner doh den Verſuh wagen zu dürfen, Alpenſegler im Käfige zu halten. Alt eingefangene Vögel benahmen ſi< {heu und unbändig, ſtießen bei jeder Berührung ihr durchdringendes Geſchrei aus, verkrochen ſich in die dunkelſte Ede des Zimmers und blieben regungslos hier liegen, bis man ſie wegnahm. Nachdem es ihnen einige Male gelungen war, ihre fur<htbaren Nägel in die Hand des Pflegers einzutrallen, fand dieſer es in der Folge geraten, lederne Handſchuhe anzuziehen, wenn er ſie zum Füttern in die Hände nehmen mußte. Fnfolge beharrliher Verweigerung und Hinauswürgens aller beigebrahten Nahrung verendete der eine von ihnen, ein Weibchen, ſchon nah 5 Tagen; der andere ließ ſi<h mit Not künſtlih ernähren, magerte jedo< beſtändig ab und ſtarb 3 Wochen ſpäter. Um ihre Jungen, die mit dem alten Paare gefangen worden waren, kümmerten ſfih beide niht im geringſten, da ihnen die Möglichkeit / ſie zu ernähren, abgeſchnitten war. Auch an den alten Vögeln konnte Girtanner die von Fatio angeführte Beobachtung beſtätigen, daß ſie kleine Biſſen niht verſhlangen, ſondern immer warteten, bis ſih ein den Rachen anfüllender Klumpen von Nahrung gebildet hatte, den ſie dann in einer heftigen Schlingbewegung hinunterwürgten. Die vier Fungen, deren Alter auf 5—6 Wochen anzuſ<hlagen war, ſahen den Eltern bereits ſehr ähnli<h und verloren die breiten weißen Säume bis zum Februar des nächſten Fahres vollſtändig, worauf die Mauſer des Kleingefieders begann. Fhr Gefangenleben war höchſt einförmig. Jhr Neſt beſtand in einem kleinen, mit Moos gefüllten Korbe und war der einzige Gegenſtand, zu welchem ſie einige Zuneigung kundgaben. Flugverſuche machten ſie gegen Ende Auguſt; zum wirklichen Fliegen brachten ſie es aber niht, obwohl ſie ſehr gut genährt und lebhaft genug waren. Bald kamen fie zum Boden und ſchoben ſi<h dann kleinen Schubkarren ähnli<h in die nächſte E>e, einer dem andern nah, wo ſie, die Köpfe fo gegeneinander geſte>t, daß ſie einen Stern bildeten, lange verblieben. An eine Mauer gehängt, dachten ſie ebenfalls niht daran, wegzufliegen, und wenn es geſchah, fielen ſie bald zum Boden herab. Selbſt zu trinken lernten ſie nah 3 Monaten, thaten es dann oft und ganz wie andere Vögel. Dagegen brachte ſie Girtanner nicht dahin, das Futter ſelbſt aufzunehmen. Lebteres mußte ſtets in großen Biſſen tief in den Rachen geſte>t werden, weil ſie ſonſt mit aufgeſperrten S<hnäbeln ſigen blieben. Bei überhandnehmender Kälte war der Pfleger gezwungen, ſie in einen großen Käfig zu bringen, in welchem ſie fleißig herumkletterten und lärmten. Berührte einer den anderen ohne Not, ſo waren ſtets allgemein werdende Balgerei und endloſes Geſchrei die Folge. Da von Ende November an keine weitere geiſtige oder törperliche Entwickelung zu erwarten war, tötete Girtanner den erſten 4, den zweiten 5, den dritten 6 Monate na<h dem Einfangen und behielt nur den vierten bis Anfang Mai. Jhnen die Freiheit ſchenken, hätte geheißen, ſie gefliſſentlich einem gewiſſen Tode preiszugeben. „Sogar der Alpenſegler alſo“, ſ{<ließt Girtanner, „läßt ſih in Gefangenſchaft und ſelbſt im Käfige halten. Doch könnte ih ihn niemand mit gutem Gewiſſen als Zimmergenoſſen empfehlen. Ungeſtört möge er vielmehr fortan in unbegrenzter Freiheit ſein tolles Weſen treiben.“