Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 3

Abſtammung. - Artenzahl. Wohngebiete. 13

Sehr auffallend iſt die räumliche Verbreitung der jebt den Erdball bewohnenden Kriechtiere. A. Günther hat für jede der größeren Abteilungen beſtimmte Wohngebiete abgegrenzt, die ſih durch die ſie bewohnenden Familien und Gattungen eine gewiſſe Selhſtändigkeit bewahren. Für die Eidechſen findet er 6 ſolcher Reiche: 1) das afrikaniſche mit dem weſtpaläarktiſchen Gebiete, 2) das indiſche mit dem mantſchuriſchen oder oſtpaläarktiſchen Gebiete, 3) das tropiſh-pazifiſ<he Reich mit Auſtralien und Neuguinea, 4) das madagaſſiſche, 5) das ſüd- und nordamerikaniſche und 6) das neuſeeländiſche Reich. Für die Schlangen ſind dagegen 8 Reiche aufzuſtellen: 1) das aſrikaniſhe im Süden des Atlas, 2) das weſtpaläarktiſche, 3) das indiſche mit dem oſtpaläarktiſhen Gebiete, 4) das nordamerikaniſche, 5) das tropiſh-amerikaniſche, 6) das tropiſch-pazifiſche, 7) das mada: gaſſiſhe und 8) das neuſeeländiſche Reih. Nur 5 Reiche endlich läßt er für die Land: und Süßwaſſerſchildkröten gelten: 1) ein Reich, das Europa, Aſien, Nordafrika und Nordund Mittelamerika umfaßt, 2) ein afrikaniſches, ſüdlich des Atlas, 3) ein Reich, das einerſeits in das ſüdamerikaniſche, anderſeits in ein madagaſſiſches zerfällt, 4) ein tropiſch-pazifiſches und 5) ein neuſeeländiſches Reich. Danach iſt alſo merkwürdigerweiſe auf die großen Kriechtierabteilungen eine einheitliche Anordnung in Wohngebiete niht mögli, und dieſe ſo tiefgreifenden Verſchiedenheiten können nur dur die Annahme eine Erklärung finden, daß die verſchiedenen Ordnungen und Unterordnungen ſich zu ſehr ungleichen Zeiten in der Vorwelt, als die Land- und Waſſerverteilung auf der Erdoberfläche noh eine weſentlich andere war als heutzutage und das Weltmeer bald Länder zerriß, bald neu verknüpfte, über die Erde verbreitet haben. Au<h W. T. Blanford findet den Grund, warum die heutige räumliche Verbreitung der Kriechtiere ſo auffallend von der der Sperlingsvögel und der Säugetiere abweiche, darin, daß dieſe zeitlih weit neueren Urſprungs ſind als jene. Aus der Verbreitung der Kriechtiere {ließt dieſer Gewährsmann auf eine junge Landverbindung der Salomoninſeln mit Neuguinea, auf eine Landbrü>ke von Madagaskar nach Oſtafrika vor der mittleren, auf eine nah Fndien vor der älteren Tertiärzeit. Fn noh grauerer Vorzeit liegt eine Landverbindung von Südamerika mit Neuſeeland oder Auſtralien, ja eine ſolche mit Madagaskar und Südafrika, die durch die Übereinſtimmung einiger Kriechtierfamilien und vieler Gattungen erſchloſſen werden können. M. Neumayr hat beahtenswerte Gründe dafür gegeben, daß der leßtgenannte Landzuſammenhang in die juraſſiſche oder vielleiht no< in die untere Kreidezeit fiel. Wie dieſe Landbrücken im einzelnen gelegen haben, iſt freili<h no< niht ausgemaht und ſicher erwieſen, aber daß ſie beſtanden haben müſſen, bezweifelt heutigestags niemand mehr.

Weitaus die meiſten Kriechtiere hauſen in Niederungen der Gleicherländer; denn mehr als alle übrigen Wirbeltierklaſſen nehmen ſie nah den Polen zu an Anzahl ab. Dasſelbe gilt für die verſchiedenen Gürtel der Höhe. Wärme iſt für ſie Lebensbedingung: je heißer die Gegend, um ſo zahlreicher ſind ſie vertreten, je kälter ein Land, deſto ärmer iſt es an ihnen. Den Polarkreis überſchreiten ſehr wenige Arten. Fn unſeren Alpen ſteigen einzelne, Bergeidechſe und Kreuzotter z. B., bis zu 1800 m empor; in den Andes hat Caſte lnau zwei Shlangen in einer Höhe von mehr als 2000 m, im Himalaja Schlagintweit mehrere Kriechtiere no< in Höhen von 4660 m gefunden. Eine ſo bedeutende Höhe wie die leßtangegebene ſcheint die äußerſte Grenze des Auſſteigens unſerer Tiere zu bilden. Geſteigerte Wärme erhöht ihre Lebensthätigkeit in jeder Beziehung. Arten, deren Verbreitungs8gebiet ſi<h über mehrere Breitengrade erſtre>t, ſind im Süden oft merklih größer und farbenſchöner als im Norden, ſo daß es unter Umſtänden {wer halten kann, ſie wiederzuerkennen. Neben der Wärme verlangen viele Arten Feuchtigkeit. Afrika iſt verhältnismäßig arm an ihnen, während ſi<h in Südaſien und no< mehr in Amerika die größte Mannigfaltigkeit der Formen und wohl auch die größte Anzahl der Glieder derſelben