Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 3

Geiſtige Begabung. Zähmbarkeit. Stimme. 25

und ergößt ſi dur eigne, innere Geiſtesthätigkeit: es labt ſich höchſtens an etwas, ſei es an reihlihem Futter, ſei es an der wohlthätigen Wärme.

Sinnesreize wirken freilih noh mächtig genug auf die kleine Hirnmaſſe. So hat man beobachtet, daß ſie während der Begattung die Außenwelt vollſtändig vergeſſen, daß ſie taub und blind zu ſein ſcheinen, die augenfälligſten Gefahren, die ſie ſonſt meiden, niht mehr beachten, kurz, ihr ſonſt üblihes Benehmen gänzlih umändern. Hieraus würde alſo hervorgehen, daß ein lebhafter Sinneseindru> zeitweilig die volle Hirnthätigkeit für ſi beanſprucht. Von geiſtigem Leben iſt kaum zu reden, von ſinnlihem noh eher; doh läßt ſi, wie bemerkt, ein gewiſſes Anſammeln von Erfahrungen und ebenſo ihre geeignete Verwertung nicht in Abrede ſtellen. Die Giftſchlange iſt ſih ihrer tödlichen Waffe wohl bewußt und wartet ruhig den Erfolg der Wirkung ihres Giftes ab; die giftloſe Sélange, die Schildkröte, das Krokodil, die Eidechſe ſchleicht ſi<h an die Beute hinan, verfolgt ſie oder lauert von einem Hinterhalte auf ſie, ſchnellt ſih dann plößlich hervor und verſucht ſie zu faſſen; jedes Kriehtier endlih läßt fih in einem gewiſſen Grade zähmen, d. h. nah und nach an den Menſchen, der ihm Nahrung reicht, gewöhnen: es unterſcheidet aber ſ{<werli<h zwiſhen dem Pfleger und einem anderen, ſondern ſieht in der ihm bekannt gewordenen Erſcheinung eben nur den Fütterer. Krokodile und Eidechſen, ja Schildkröten fönnen allgema<h dahin gebracht werden, daß ſie auf den Ruf oder ein beſtimmtes tönendes Zeichen ſeitens ihres Pflegers herbeikommen und ſi zur Entgegennahme von Nahrung bereit halten; den erſteren kann man vielleicht ſogar das Beißen abgewöhnen: hierauf aber beſchränkt ſi der Grad der Zähmung, den ſie erreichen. Jh habe auh geſehen, daß Giftſchlangen die ihnen vorgehaltene Nahrung wegnahmen, dabei jedoch gleichzeitig bemerkt, wie ſie, troßdem fie gewohnt waren, mit einer eiſernen Zange das Futter zu erhalten, bei einer unerwarteten Bewegung biſſen, alſo in dem Augenbli>e vollſtändig vergaßen, daß ſie ſih an dem Eiſen ſhon mehrfach verlezt hatten. Sogenannte zahme Kriechtiere, die fähig ſind, ihren Pfleger zu verleßen, bleiben immer gefährlich, weil an Anhänglichkeit ihrerſeits gar niht geda<ht werden fann und viel eher no< auf Tücke und Bosheit als auf Freundlihfeit gerehnet werden muß. Jn ein freundſchaftlihes Verhältnis tritt das Kriechtier weder mit anderen Gliedern ſeiner Klaſſe, noh mit anderen Tieren überhaupt; man kann es höchſtens dahin bringen, ſih niht mehr zu fürchten oder gegen das andere Weſen gleich: gültig zu ſein. Nicht einmal wirkliche Geſelligkeit bemerkt man unter dieſen tiefſtehenden Geſchöpfen: Hunderte von Schildkröten ſ{<hwimmen, 20, 30 Krokodile liegen, ſih ſonnend, nebeneinander; aber jedes einzelne denft, ſolange niht der Paarungstrieb ins Spiel kommt, nux an ſi<, handelt aus\<ließli< für ſih, bekümmert ſih niht um das Nebentier; die Geſamtheit tritt niht zum Schuze des Einzelnen ein.

Bei Erwähnung der leiblichen und geiſtigen Begabung der Kriechtiere haben wir ſ<ließli<h no< der Stimme zu gedenken. Unter den höheren Wirbeltieren gibt es wenige, die unfähig ſind, Töne oder Laute hervorzubringen, unter den Kriechtieren eine große Anzahl, die wir ſtumm nennen dürfen. Die Schildkröten blaſen oder pfeifen, Eidechſen und Schlangen laſſen, wie bekannt, zuweilen ein mehr oder minder lautes Ziſchen vernehmen, von vielen hört man aber auh dieſes Geräuſch niht, und nur die Krokodile und die Geckonen, nächtlich lebende Eidechſen, ſowie einige Halsbandeidehſen ſind im ſtande, laute, abgerundete und teilweiſe flangvolle Töne hervorzubringen. Die tiefer ſtehenden Lurche erſcheinen uns in dieſer Hinſicht begabter als die Kriechtiere.