Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 4

Thun: Nahrung. Fruchtbarkeit. Fangweiſen. Tonnaren. 109

Der Fang geſchieht verſchieden, je nah Örtlichkeit und Fahreszeit. An den Küſten von Languedoc wie in Jſtrien ſtellt man gegen die Zugzeit der Fiſche an erhabenen Stellen Wachtpoſten aus, welche die Ankunft der Thune melden und die Gegend anzeigen, von welcher aus ſie ſi< nähern. Auf das erſte Zeichen des Wächters ſtehen eine Menge bereit gehaltener Boote in See, bilden unter Befehl eines Anführers einen weiten Halbmond, werfen ihr Garn aus und ſchließen die Fiſche ein, verengern den Kreis mehr und mehr und zwingen die Thune, gegen das Land hin zu ſhwimmen. Hat man ſih dem Lande genähert und ſeihtes Waſſer erreicht, ſo breitet man das lezte Ney aus und zieht es mit allen innerhalb desſelben befindlihen Thunen aus Land, woſelbſt nunmehr eine fürchterliche Metzelei unter den gefangenen beginnt.

Viel großartiger betreibt man die Fiſcherei an den italieniſ<hen Küſten. Hier ſperrt man den Thunen die gewohnten Straßen mit ungeheuern Netzen ab und erbeutet günſtigen Falles Tauſende auf einmal. Der Abt Cetti hat dieſen Fang in meiſterhafter, noh heute gültiger und unübertroffener Weiſe beſchrieben, und ſeine Schilderung iſt es, die ih dem Nachfolgenden zu Grunde lege.

Die Fangnete, wahrhaftige Gebäude aus Stricken 1nd Maſchen, heißen Tonnaren, und man unterſcheidet je nah deren Lage Vorder- oder Hintertonnaren. Das Meer muß da, wo eins dieſer kühnen Gebäude errichtet wird, mindeſtens eine Tiefe von mehr als 30 m haben; die Neßwand ſelbſt beſizt eine ſolhe von 50 m, da die verſchiedenen Kammern desſelben feinen Boden haben und ein guter Teil des Netes auf den Grund zu liegen fommt und in dieſer Lage unverrückbar feſtbleiben muß. Nur die ſogenannte Totenkammer hat einen Boden, weil ſie mit den gefangenen Thunen aufgehoben wird; ſie iſt au<h, um die Laſt der Fiſche und deren Gedränge auszuhalten , ungleich feſter als das übrige Net aus ſtarken, engmaſchigen Hanfſhnüren geſtri>t. Nach beiden Seiten hin verlängern ſih zwei Nebwände ſ<hweifartig zu dem Zwecke, den Thun ins Neß zu leiten. Der ſogenannte Schweif führt den Fiſch, der ſonſt zwiſchen dem Nete und dem Ufer entwiſchen würde, in die Kammer; die ſogenannte Schleppe leitet die herbei, die ſonſt im äußeren Meere vorüberſtreiſfen würden. Zuweilen beträgt die Geſamtlänge des Netzes über eine Seemeile.

Die Ufer Sardiniens werden, wenn die Zeit der Fiſcherei herannaht, durch die Tonnaren ungemein belebt. Am Ufer ſtehen da, wo man ſeit Fahren gefangen hat, mehr oder weniger große und bequem eingerichtete Gebäude, dazu dienend, Fiſcher, Käufer und Zuſchauer aufzunehmen, die ſi<h während des Fanges hier zuſammenfinden. Bis gegen Ende März iſt alles ſtill und verlaſſen; Anfang April aber verwandelt ſi<h der Küſtenplaß in einen Markt, wo ſi<h Leute aus allen Ständen verſammeln. Fuländer und Ausländer fommen an, und wenn die Häuſer und Buden ſi<h füllen, bede>t ſi<h au<h das Ufer mit Hütten und das Meer mit Fahrzeugen. Allenthalben ſind Leute beſchäftigt: hier Böttcher und Schmiede, dort Laſtträger, die Salztonnen und dergleichen herbeiſchaffen, dort wiederum zuſammengelaufenes- Volk das vollauf Arbeit hät, das ungeheure Neb auszubreiten, zu fli>den und zuſammenzufügen. Der „Patron“ oder Eigentümer der Fiſcherei läßt ſich außer der Aufmerkſamkeit, die er auf die Arbeit und Bewirtung ſeiner Mannſhaft wendet, auh den Gottesdienſt angelegen ſein, weil er glaubt, daß hiervon ein niht geringer Teil ſeines guten Erfolges abhänge. Aus dieſem Grunde „drängt ſih“, wie der Abt ſagt, „die Religion herbei“. Überdies begleiten den Patron einige ſeiner ſicherſten und treueſten Leute, welche die Oberaufſicht haben, die Arbeit überwachen und Bekanntmachung der Verordnungen übernehmen; die Hauptperſon aber und der allerwichtigſte Arbeiter iſt der Rêis oder Oberbefehlshaber der Fiſcher. Rëis bedeutet im Arabiſchen ſoviel wie Vorſteher oder Hauptmann; die Benennung deutet alſo darauf hin, daß die Araber