Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 4

174 Erſte Ordnung: Stach elfloſſer; drei- und vierundvierzigſte Familie: Stichlinge 2c.

nnd faſt das Vierfache an oxydierbaren organiſchen Stoffen gegenüber dem Gehalte des Waſſers an dieſen Stoffen im September. Es läßt ſi< daraus ſ{ließen, daß infolge der Fäulnis der abgeſtorbenen Stichlinge der Sauerſtoffgehalt des Waſſers dur<h Orxydation der organiſchen Stoffe weſentlih verringert worden war. Auf Sauerſtoffmangel iſt vermutli<h auh der Beginn des Sterbens zurü>zuführen. Die Stichlinge ſind zwar im allgemeinen zählebig und können außerhalb des Waſſers 5—6 Stunden am Leben bleiben; dagegen ſind ſie gegen ſ{<le<htes Waſſer ſehr empfindlih. Fn den faſt gefälleloſen Küſtengewäſſern der flachen Niederung iſ die Strömung, gegen welche die Fiſche ziehen, faſt gänzlih vom Winde abhängig und wechſelt mit dieſem. Gerät infolge des Nachlaſſens der Strömung der Zug der Fiſche ins Sto>en, ſo ſammeln ſi< ſtellenweiſe ſo ungeheure Mengen von Stichlingen in dem unbewegten und dur< verweſende Stoffe an ſi<h {hon ſ<hle<t gewordenen Waſſer an, daß die Atemluft des an zwei Seiten begrenzten Gewäſſers von den Tieren raſh verbrauht wird und Erſtikung eintritt. Hat das Sterben erſt einmal angefangen, ſo wird dur<h die verweſenden Körper das Waſſer bei mangelnder Strömung immer mehr verpeſtet, und ehe die vom Wanderdrange geführten Fiſche zur Umkehr gekommen ſind, erleiden, beſonders bei warmer Witterung, Tauſende und Millionen den Erſti>ungstod und ziehen zahlreiche Fiſche anderer Arten mit. in das Verderben.“

Es iſt niht zu verwundern, daß man unter ſolhen Umſtänden in den betroffenen Gegenden die Stichlinge bei ihrem Zuge durchaus nicht willkommen heißt, ſondern als recht unliebſame Gäſte betrahtet. Auch in größeren Teichen ſieht man ſie durhaus nicht gern, weil ihre Gefräßigkeit die Aufzucht der Nusßfiſhe empfindlih beeinträchtigt und ſie da, wo ſie ſi< einmal eingeniſtet haben, ſi< nur ſehr ſ<hwer wieder ausrotten laſſen. Zuzeiten Gesners glaubte man, „daß ſolche fiſhlein von ihnen ſelber wachſen, und werden in folgenden Fahren andere fiſh auß ihnen, dieweil ſie auh in den neugeſeßten Seen oder Weyern in dem erſten Jahr geſehen werden, folgende Jahre ſih andere fiſh in demſelben befinden, ob ſie gleih mit keinen andern Fiſchen beſeßt ſein worden“. Es verhält ſi< hierbei faſt wie mit den Mäuſen: eine Geſellſchaft brütet ungeſtört; die junge Brut wächſt raſh heran, vermehrt ſi<h ebenfalls, und ſo kann es nah kurzer Zeit da, wo man früher keine Stichlinge bemerkte, von ihnen wimmeln, bis einmal, wie es Seligo ſchildert, das große Sterben über ſie kommt und unter ihnen aufräumt.

Jn Holſtein und Schleswig, Schweden und England fängt man die Stichlinge in manchen Jahren in ſo großer Maſſe, daß man ſie zum Schweine-, Hühner- und Entenfutter, zum Thrankochen oder als Dung verwendet. Pennant erzählt von einem Manne in Lincolnſhire, der längere Zeit hindur< täglih 4 Schilling mit Stichlingsfang verdienen fonnte, obgleih er von den Landwirten nur einen halben Penny für den Scheffel dieſer Tiere erhielt. Fn Holland zündet man Feuer am Strande an, um Seeſtichlinge herbeizuziehen, füllt die Neve mit ihnen und benußt ſie entweder zur Thrangewinnung oder zum Düngen der Felder. Das Fleiſh gilt für ungenießbar. Jn Danzig erzählte man von Siebold, um die Not zu ſchildern, die während der leßten Belagerung in der Stadt geherrſcht habe, daß die ärmeren Einwohner bei dem Mangel der gewöhnlichen Lebensmittel zu den während der Belagerung in den Feſtungsgräben überaus häufigen Stich: lingen ihre Zuflucht genommen hätten, um ihren Hunger zu ſtillen. Dieſer allgemeinen Mißachtung gegenüber behaupten einige, daß der Stichling keineswegs ein ſ{le<tes Eſſen ſei, vielmehr, falls er nux re<ht zubereitet werde, eine ſehr wohlſhme>ende Speiſe abgebe.