Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 4, page 272

2834 Vierte Ordnung: Edelfiſche; erſte Familie: Welſe.

werden wird. Die Edelfiſche gehören, wenn auh niht gänzlih, ſo doh hauptſählih den ſüßen Gewäſſern an und bevölkern die Binnenſeen, Teiche, Bäche und Ströme aller Erdteile und Länder. Nun kennt man niht einmal die europäiſhen Arten hinlänglih, ge\hweige denn die, die in den Süßgewäſſern der übrigen Erdteile vorkommen; es iſt alſo ſehr erklärlich, daß unſere Kenntnis gerade hinſichtlich dieſer Fiſche in jedem Jahre weſentlich bereichert wird, daß jeder Reiſende, der irgend einen der großen fremdländiſchen Ströme genauer durWfiſht, neue Arten entde>t. So haben, um ein Beiſpiel anzuführen, die Forſchungen von Agaſſiz über den Fiſchreihtum des Amazonenſtromes erſt Licht verbreitet; denn dieſem einen Fiſhkundigen und ſeinen Gehilfen gelang es, falls die amerikaniſchen Berichte niht übertrieben haben, in dem Rieſenſtrome gegen 1200 Fiſcharten zu erbeuten, von denen der größte Teil no< gänzlih unbekannt geweſen ſein ſoll und vorwiegend zu unſerer Ordnung zählen dürfte.

Eine allgemeine Schilderung der Lebensweiſe, Sitten und Gewohnheiten, der Nahrung und Fortpflanzung der Edelfiſche glaube ih übergehen zu können, weil ih hierüber dasſelbe ſagen müßte, was man bezüglich der ganzen Klaſſe überhaupt mitteilen kann. FJnnerhalb dieſer Drdnung machen ſi bei verſchiedenen Gliedern ſo ziemli<h alle Eigentümlichkeiten der Fiſche bemerklih. Es gibt Edelfiſche, die ſtreng an das Waſſer gebunden ſind, und andere, denen längeres Verweilen auf feſtem Lande niht ſchadet, ſolhe, welche weite Neiſen zu Waſſer, und andere, welhe Wanderungen über Land ausführen; die Ordnung zählt kühne Räuber und harmloſe Gewürm- und Pflanzenfreſſer, Arten, die ſi<h dur außerordentlihe Fruchtbarkeit auszeihnen, und andere, deren Vermehrungsfähigkeit verhältni8mäßig gering iſt, ſolhe, welche Eier legen, und ſolche, welche lebende Junge zur Welt bringen; wir entnehmen ihr unſere köſtlihſten Tafelfiſhe und verſ<hmähen das Fleiſch gewiſſer Mitglieder gänzlich.

Für die Binnenländer ſind die Edelfiſhe bedeutſamer als alle übrigen Klaſſenverwandten, und es iſt mindeſtens bemerkens8wert, daß: der wichtigſte aller Seefiſche, der Hering, zu ihnen zählt. Jhre Bedeutung wird ſteigen, je mehr man ſih bemüht und dahin einigt, den ſo lange rü>ſi<tslos verfolgten Fiſchen einen immer gewiſſenhafter überwachten rehtzeitigen Schuß, die Schonzeit, und den jungen Fiſchen die Sicherheit der Entwi>kelung zu gewähren und auch ſonſt, wo es angeht, in entſprehender Weiſe, unter anderem durch die künſtliche Fiſchzucht, für Vermehrung der wichtigen Tiere zu ſorgen. Daß man früher in dieſer Hinſicht ſo wenig gethan hat, wo doh Abhilfe no< am erſten möglih war, hat die Folge gehabt, daß die Klagen über das Abnehmen der Fiſche immer lauter wurden und auch gere<htfertigt waren. Dadurch aber wurde auh zugleih eine Wandlung zum Beſſeren eingeleitet, die ſih bereits in fruhtbringender Weiſe geltend macht: wem unter uns wäre jezt der Gedanke no< fremd, daß es zur Bevölkerung unſerer fließenden und ſtehenden Gewäſſer mit Fiſchen ebenſo notwendig der menſhlihen Nachhilfe bedürfe wie z. B. zur Erzielung einer Schafherde oder eines Geflügelſtammes, daß der vernünftige Menſch ſeine eigne Kraft einſeßen müſſe, um der drohenden oder bereits eingetretenen Verarmung der Gewäſſer entgegenzuwirken?

Dieſelben Beweggründe, die Vogelkundige veranlaßt haben mögen, mit den größten Raubvögeln, den plumpen und ſtumpfgeiſtigen Geiern, die Klaſſe der Vögel überhaupt zu eröffnen, mögen bei den Fiſchkundigen, die unter den Edelfiſchen die Welſe (Siluridae) obenan ſtellen, maßgebend geweſen ſein. Als die ausgezeihnetſten oder edelſten Mitglieder der Ordnung haben wir dieſe Fiſche gewiß niht anzuſehen, ſondern höchſtens als die größten