Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 5

26 Ein Blick auf das Leben der Geſamtheit.

Kenntniſſe reihen, dürften ſi< ungefähr folgende Geſeße als maßgebend herausgeſtellt haben: T) Das Larvenleben dauert länger als das Leben des ge\<le<tsreifen Kerfes, es ſei denn, daß dieſer zu überwintern habe; eine fernere Ausnahme von dieſer Negel bilden die in Staaten lebenden Kerbtiere (Bienen, Ameiſen, Termiten). 2) Die bohrenden oder unterirdiſchen Larven brauchen längere Zeit zu ihrer Entwi>elung als die frei auf Pflanzen 2c. oder über der Erde lebenden. 3) Die fußloſen, ganz beſonders aber die fußund kopfloſen Larven gebrauchen am wenigſten Zeit zu ihrer Ausbildung. 4) Je längere Zeit ein Fnſekt zu ſeiner Entwickelung braucht, deſto kürzer iſt ihm im Verhältnis hierzu die Lebenszeit für den vollkommenen Zuſtand bemeſſen. So wenig dieſe und vielleicht no< andere Geſeße, die ſih aufſtellen ließen, ausnahmslos ſind, ebenſowenig werden die Zeiträume immer innegehalten, welche eine Art zur Vollendung ihrer Verwandlungen zu gebrauchen pflegt. Frauendorf hatte, um einige Beiſpiele anzuführen, Ende Juni 1836 Raupen eines an Birken neſterweiſe lebenden, für manche Gegenden Deutſchlands gemeinen Spinners, der Gastropacha lanestris, und zwar zwei ſolche Neſter, eingetragen. Die Raupen hatten ſi< Mitte Auguſt ſämtlich verſponnen. Den 18. September erſchien der erſte Schmetterling, den 14. Oktober ein zweiter, beides Männchen. Einige 20 Stücke beiderlei Geſhlehtes ſ{<lüpften im Frühjahre 1837 aus (dies wäre der regelrechte Zeitpunkt), andere folgten im Herbſte nah, einzelne in den folgenden Jahren, das lette am 4. März 1842. Der Puppenzuſtand hatte bei dieſem lebten Stücke alſo 52/2 Jahre gedauert, beim erſten dagegen nur ebenſo viele Wochen. Ähnliche Beobachtungen, wenn auh niht mit ſo bedeutenden Zeitunterſchieden, hat man au< bei anderen Schmetterlingen, bloß niht bei Tag- und Kleinfaltern, gemaht. Jn einem Falle, welchen F. Smith erwähnt, verpuppten ſih von 250 Larven einer gemeinen Mauerbiene (Osmia parietina) 25 erſt im Sommer 1852, obſchon die Eier 1849 gelegt waren und für gewöhnli< ein Jahr zur Entwi>kelung hinreicht. Es darf nicht wundernehmen, daß man beſonders von Schmetterlingen dergleichen Beiſpiele kennt, weil gerade dieſe von jeher und von den verſchiedenſten Liebhabern beobachtet und daher am vollſtändigſten in ihrer Entwi>elungsgeſchichte bekannt geworden ſind.

Daß Wärme mit der gehörigen Feuchtigkeit und für die freſſenden Larven Überfluß an Nahrung die Entwi>kelung beſchleunigen, der Mangel an jenen Erforderniſſen dieſelbe aufhält, hat die Erfahrung zur Genüge gelehrt, und dieſe Einflüſſe treten no< hinzu, um das Auffinden gewiſſer Geſeße ſhwieriger zu machen, als es an ſih ſchon iſt. Der kundige Schmetterlingszüchter weiß, daß er aus der Puppe, welche im Freien ungefähr erſt im Mai den Falter liefern würde, denſelben {hon um die Weihnacht3zeit in gleih {öner Farbenpracht entlo>en kann, wenn er jene dem warmen Ofen re<t nahe bringt und ſie öfter anfeuhtet, Jm umgekehrten Falle hat er die Eier des Seidenſpinners in der Kälte zu überwintern, wenn ex ſih niht der Gefahr ausſeßen will, im Frühjahre die Raupen vor ihrem Futter, dem Laube des Maulbeerbaumes, zu haben. Die beiden angeführten Beiſpiele waren nicht aus dem unumſhränkten Walten der Natur ſelbſt entnommen, ſondern unterlagen teilweiſer Beeinfluſſung ſeitens des Menſchen. Aber auh ohne ſolche finden wir jene Behauptung beſtätigt. Der aufmerkſame Beobachter kann wahrnehmen, wie ein Znſekt durh ungünſtiges Wetter um etwa vier Wochen und noch länger im Erſcheinen zurügehalten wird gegen andere, ſeiner Entwi>elung günſtigere Jahre; es kann ihm nicht entgehen, wie ein und derſelbe Kerf, wenn er im Sommer ſeine Verwandlung beſtanden, dazu viel kürzere Zeit gebraucht, als wenn bei der nächſten der Winter dazw.ſchen fällt. Am ſclagendſten werden wir aber von dem Einfluſſe der JFahrestemperatur auf die Entwidelung der Fnſekten überzeugt, wenn wix uns nach einem umſehen, welches eine große Verbreitung auf der Erdoberfläche hat und in Gegenden von weſentli verſchiedenen