Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 5

Entwi>kelung. 21

Graden mittlerer Jahreswärme zugleich lebt. Der ſhon oben erwähnte Kohlweißling iſt ein ſoles. Jm mittleren und nördlichen Deutſchland fliegt er zum erſtenmal im günſtigſten Falle in der zweiten Hälfte des April und dann nohmals von Ende Juni bis in den September und überwintert unter allen Umſtänden als Puppe. Auf Sicilien, wo dieſer Proletarier au< vorkommt, fliegt er vom November bis Januar. Bei uns geht ſeine Raupe im Winter zu Grunde, während doh andere Arten nur als Naupen überwintern; auf Sicilien kann ſie die Kälte des gelinderen Winters ertragen. Man könnte nun glauben, daß in den heißen Ländern, wo die Temperaturunterſchiede weit geringer ſind als in den gemäßigten und kalten Gürteln, die Entwickelung der Jnſekten in gleihmäßiger Weiſe vor ſi< ginge und nur von der eigenartigen Natur der einzelnen bedingt wäre. Abgeſehen davon, daß, wie ſchon oben erwähnt wurde, auh das Futter für die Larve eine bedeutende Rolle, ja, die weſentlihſte während der Verwandlungszeit ſpielt, und in dieſer Hinſicht die Gleicherländer ſi< das ganze Jahr hindurch niht gleich bleiben, kommen auch hier ganz ähnliche Verhältniſſe vor wie bei uns. Moriß erzählt z. B. von einem geſellſchaftlich lebenden Spinner in Caracas, der ſih zwar im November einſpinne, aber niht verpuppe, ſondern erſt mit Beginn der Regenzeit im Mai zur Entwi>kelung gelange; er erzählt weiter, wie ein anderer olivengrüner Spinner aus der weitverbreiteten Gattung Saturnia ſehr ungleihmäßig aus der Puppe käme. Einen Monat nah der Verpuppung erſchien ein Männchen im Ottober, dann ein Weibchen im Dezember, im Februar folgten mehrere Stücke beiderlei Geſchlechtes, und no< waren andere lebende Puppen übrig, als er Ende des genannten Móönates ſeinen Brief nah Europa abſchi>te. Wollen wir in ſolchen und ähnlichen Fällen (ein noh eigentümliherer wurde ja oben {on erwähnt) einen Grund für ſo auffallende Unregelmäßigkeiten ſuchen, ſo wäre es kein anderer als der: die Natur will die Erhaltung der Art dadur<h ſicherſtellen. Geht irgendwie das Tier bei ſeiner regelre<ten Entwi>elung zu Grunde, ſo bleiben andere übrig, die ſi< dem Geſeße nicht gefügt haben.

Für die Länder mit einem Winter, den Froſt und Schnee kennzeichnen, verſhwindet zwar während desſelben alles Fnſektenleben unſeren Augen; daß es aber niht aufgehört habe, lehrt jedes darauf folgende Frühjahr von neuem. Die einen überwintern nur im Eizuſtande, andere nur als Larven, zu denen ſelbſtverſtändlih alle diejenigen gehören, welche zwei und mehr Jahre zu ihrer Entwickelung bedürfen, eine dritte Reihe überlebt die böſe Jahreszeit als Puppe, eine vierte als Geſchlechtstier. Nur in ſeltenen Fällen dürfte ein und dasſelbe Jnſeft auf zwei verſchiedenen Entwickelungsſtufen den Winter überdauern. Wer übrigens einen Begriff davon haben will, wie viele von ihnen im vollkommenen Zuſtande einen Winterſchlaf halten, der gehe nur hin im Herbſte, wo die Erſtarrung noch nicht eingetreten iſt, und ſuche im Walde unter dem dürren Laube nach, das ſi ſeit Jahren angeſammelt hat, oder unter dem tro>enen Geſtrüppe von Sträuchern, die an einer geſhüßten Stelle wachſen, oder unter Steinen und ähnlichen Orten, welche dem ſcharfen Luſtzuge nicht ausgeſeßt ſind da wird er eine ungeahnte Mannigfaltigkeit von Käfern und Fliegen, Weſpen und Spinnen, Wanzen und anderem Geziefer finden, hier und da einen Nachtſchmetterling aus dem dürren Laube herausſ\pazieren ſehen, alle aber bemüht, ſi< ſo ſhnell wie möglich ſeinen Blicken wieder zu entziehen. Manche bekannte Erſcheinungen ſind vielleicht darunter, die man in der beſſeren Jahreszeit anderwärts zu ſehen gewohnt iſt, aber auch viele, die dergleihen Schlupfwinkel zu ihrem ſtehenden Aufenthaltsorte wählen und kaum je an das Tagesliht kommen. Ein Paar Maikäferflügel, eine halb verſhimmelte Horniſſe ohne Beine und ſonſtige Überreſte könnten glauben machen, daß man hier in einen großen Begräbnisplaß dieſer kleinen Weſen geraten ſei, und daß über Winter keins mit dem Leben davonkomme. Wohlan, gehe zum zweitenmal dorthin, wenn jener ſih verabſchieden will, wenn Froſt und