Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6

Gemeiner Flohkrebs. 63

ordentli<h zahlreihen Bewohner des Meeres halten ſi teils an den Küſten auf, bekannt unter dem Namen der Sandhüpfer, teils begeben ſie ſi<h au< auf das hohe Meer hinaus. Die zahlloſen Scharen von Flohkrebſen werden in den nordiſchen Meeren als Aasvertilger von höchſtem Nußen. Die Äſer großer Delphine und Wale, welche, der allmählichen Fäulnis überlaſſen, das Waſſer im weiten Umkreiſe verpeſten und damit einer Menge Tierbrut den Untergang bereiten würden, werden in kurzer Zeit von den Millionen ſih einſtellender Flohkrebſe rein \elettiert. Sie verſehen alſo als Organe der Naturgeſundheitspolizei dieſelben Dienſte, welhe in den Tropengegenden von den Aasgeiern mit ſo großem Vergnügen übernommen werden, verarbeiten aber jedenfalls eine weit größere Maſſe ſhädlicher Stoffe als lettere.

Der Seite 62 abgebildete Flohkrebs iſ ein Nepräſentant der Familie Flohkrebſe im engeren Sinne (Gammaridae), bei welchen die beiden vorderen der oben erwähnten ſieben Paar Beine des Kopfbruſtabſchnittes dur die zurü>kgeſchlagene Klaue Greifbeine ſind. Alle, welche ſpringen können, haben einen zuſammengedrü>ten Körper, und ihre hinteren Afterfußpaare, welche die Sprungbewegung vermitteln, ſind griffelförmig. So leiht man ſih den gemeinen Flohkrebs verſchaffen kann, ſo ſchnell iſt man mit der Beobachtung ſeiner hervorſtehenden Eigenſchaften fertig. Er hält ſih, wie geſagt, am Grunde ſeichter, aber niht faulig werdender Gewäſſer, am liebſten unter größeren Steinen und Holzſtü>en auf und nährt ſih vorzugS8weiſe von Pflanzenſtoffen, fkelettiert z. B. im Herbſt meiſterhaft die in ſeine Gewäſſer fallenden Blätter. Hebt man einen ſolchen, ihnen Schuß gewährenden Stein jäh auf, ſo findet man ſie gewöhnlih dicht gedrängt, groß und klein durcheinander ſitzend und liegend. Aber kaum fühlen ſie ſih geſtört, als ſie ſhon mit größter Hurtigkeit nah allen Richtungen auseinanderſtieben, um hinter dem erſten beſten Gegenſtand ſih wieder zu verbergen. Diejenigen, welche an dem aufgenommenen Steine haften bleiben, ſuchen mit energiſhen Bewegungen des Hinterleibes ſih loszumachen und, ſeitlih ſih fortſ<hnellend, ohne eigentli< zu hüpfen, das rettende Element zu gewinnen. Gelingt ihnen das niht bald, ſo tro>nen ihre Kiemen ein, und ſie verdorren beſonders an der Sonne ſ<hnell. Der Grund ihres ſ{<leunigen Ausreißens iſt jedenfalls niht bloß in der Furcht vor dem ſih Nahenden, ſondern vorzüglich in der Lichtſcheu zu ſuchen. Denn hält man ſie in einem Gefäße, ſo iſt das erſte, was ſie thun, einen mögli<ſt dunkeln Plaß unter einem Blatte oder Kieſel aufzuſuchen. Den Winter bringen die Flohkrebſe eingegraben im Schlamme und Sande zu, um an den erſten warmen Tagen wieder zu erſcheinen und die Fortpflanzung zu beginnen. Man findet ſie alsdann oft paarweiſe, indem ein fleines Jndividuum, das Weibchen, von einem größeren, dem Männchen, hartnäckig und tagelang mit den Klauen der beiden vorderen Gliedmaßen feſtgehalten wird. Die Jungen entwi>eln ſi< in Bruttaſhen an den Beinen der Mutter und werden von dieſer in der erſten Zeit ihres Wachstums na<h dem Auskriechen geführt. Sie ſuchen nämlich bei Gefahr zwiſchen den Beinen der Mutter Schuß, eine Gewohnheit, welche auh bei meerbewohnenden Amphipoden, z. B. dem gemeinen Gammarus locusta der europäiſchen Küſte, beobachtet wurde. Es finden ſi blinde blaſſe Formen in alten Bergwerksſchächten, in tiefen Brunnen von Helgoland bis Venedig und in den tieferen Regionen großer Seen. Man hat beſondere Arten, ja ſogar ein beſonderes Genus (Niphargus) daraus gemacht, es iſt aber zu bezweifeln, ob es mehr wie Varietäten des gemeinen Flohkrebſes ſind.

Im Meere erreichen die Amphipoden einen ungeheuern Reichtum niht nur an Jndividuen, ſondern auh an Arten und gelegentlih auh an Größe, wie die auf Seite 64 in natürlicher Größe abgebildete Tiefſeeform Andania gigantea.