Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6

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Seepo>ken. Muſchelfeile. Hai-Lepadide. — Wurzelkrebſe. 7

ihrer vermittelnden Stellung zu den am höchſten abweichenden Wunrzelkrebſen verweilen wir noch bei zwei dieſer zu den Lepaden gehörigen Formen. Die eine, von ihrem Entdeer Noll Cochlorine hamata getauft, wollen wir die Muſchelfeile nennen. Man findet ſie in dem Gehäuſe des kleinen Seeohres (Haliotis tuberculata). Die nur einige Millimeter langen Tierchen ſte>en in einer flaſchenförmigen Höhlung mit ſpaltförmigem Eingang. Jhr Mantel iſt mit Chitindornen bede>t, mit deren Hilfe wohl die Wohnhöhle in das harte Schne>engehäuſe eingeraſpelt wird. Längere eigentümliche Dornen am Manteleingang mögen zur Offenhaltung und Reinigung der Gangmündung dienen, welche ſonſt von dem manqherlei Getier verſtopft werden würde, die ſi<h auf den Schne>en anſiedeln. Obwohl die einzelnen Körperteile Abweichungen von den offen lebenden Gattungen zeigen, iſt das Ganze doh dem Lepadenbau getreu geblieben; man ſieht nur ſolche Umwandlungen, welche der Wohnort und die Anlegung der Wohnkammer in hartem Material erheiſhen. Die Cothlorine hat keinen anderen Vorteil als den Schuß vom Seeohr; ſie entbehrt der Kalkplatten, mit denen ſi die frei ſich anſiedelnden Ordnungsgenoſſinnen panzern, muß aber ganz für ihren Leben8unterhalt ſorgen.

Durchaus anders haben ſich die Verhältniſſe für die auf Haien \{<hmaroßende Anelasma squalicola geſtaltet. Das zuerſt von Darwin beſchriebene Tier iſt unzweifelhaft eine Lepadide, allein es entbehrt niht nur der Kalkplatten des äußeren Mantels, ſondern auh ſeine Gliedmaßen, die Ranken der anderen, ſind zu kurzen, borſtenloſen Stumpfen degradiert, und die wie bei den eten Entenmuſcheln in der Tiefe des Mantels ſte>enden Mundwerkzeuge ſind wenig entwicelt. Darwin gibt an, daß Anelasma ihre Nahrung von der Haut der bewohnten Haie abſ<hlürfe. Damit kommt ſie jedoch ſicherlih nicht aus, vielmehr wird ihre Ernährung auf einem anderen unmittelbareren Wege in der Hauptſache bewerkſtelligt. Der Stiel, mit welchem die Lepaden ſi oberflächlih zu befeſtigen pflegen, dringt bei Anelasma tief in die Haut des Haies ein, und es bilden ſi<h außerdem von ihm aus zahlreiche wurzelartige Ausſtülpungen, welche verlängert und ſeitwärts veräſtelt in das Fleiſch des Wirtes hineinwachſen. Fn unmittelbarer Berühxung mit den Säften desſelben müſſen die zartwandigen Wurzeln dieſe Flüſſigkeit aufnehmen und ihrem Körper zuführen. So iſt es erklärlih, daß in dem Maße, als jene Wurzelbildung überhandgenommen hat, die Verkümmerung und Rückbildung der ſonſt die Nahrung ergreifenden und aufnehmenden Werkzeuge eintrat. ;

Aber dabei iſt die phyſiologiſche und die Geſtaltanpaſſung der urſprüngli lepadidenartigen Formen nict ſtehen geblieben. Die Verdauungswertzeuge find vielmehr bei den eigentlihen Wurzelkrebſen (Rhizocephala) bis auf einzelne Spuren im erwachſenen Zuſtande verſchwunden, und das durch ſeine Jugendform als Krebs ſich legitimierende Tier nimmt eine plumpe, ſa>förmige Geſtalt an, nachdem es ſi< auf einem Wirte, und zwar einem höheren Krebſe, niedergelaſſen. So weit geht die Verwandlung, eine rüdſchreitende Metamorphoſe, daß dieſe Tiere lange Zeit für Saugwürmer gehalten worden ſind.

Die genaueren Vorgänge während dieſer Metamorphoſe ſowie die ganze Ökonomie hat uns Yves Delage in einer ausgezeichneten Abhandlung von einem der gemeinſten Wuxzelfüßer, der Sacculina carcini, fennen gelehrt. Das Tier findet ſih auf der großen Taſchenfrabbe (Carcinus maenas), aber auh auf anderen Krabben aus den Gattungen Stenorhynchus, Portunus, Xantho, Galathea, Hyas und vielleicht Platycarcinus. An manchen Stellen der franzöſiſhen Küſte ſind ſie ſo häufig, daß zwei Drittel bis vier Fünftel der Krabben mit ihnen behaſtet ſind.