Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6

Hydatina senta, Beobachtungen Ehrenbergs. 99

nur Weibchen geſehen hatte, und daß die Männchen, ſelten und ſeltener als bei vielen niederen Krebſen, auf die wunderbarſte Weiſe in ihrem Bau von den weiblichen Fndividuen abweichen. Durchweg ſind ſie viel kleiner und ſind ihnen bei gänzlicher oder faſt vollſtändiger Verkümmerung des Darmkanals die Freuden der Tafel verſagt; ſie ſpielen überhaupt eine höchſt untergeordnete Nolle, ſcheinen nur eine kurze Zeit des Jahres von dem anderen Geſchlechte gelitten zu werden und dann vom Schauplaße zu verſhwinden. Nur durch ihr Zuthun entwickeln ſi wie bei den Daphniden unter den Phyllopoden Winter: eier, ſonſt geht die Vermehrung nah Produktion weihſchaliger Sommereier vox ſich.

An die Familie der Schildrädertierhen mit dem Panzer und dem längeren, geringelten und dem Endgriffel verſehenen Fuße ſchließt ſi< die panzerloſe Familie der Kriſtallfiſh<hen (Hydatinaea) an mit furzem Fuße. Beſonders an der weitverbreiteten, in kleinen, ſtehenden Gewäſſern und in frei ſtehenden Waſſerbehältern oft millionenweiſe vorkommenden Hydatina senta matte Ehrenberg ſeine Erfahrungen über den komplizierten Bau dieſer mikroſkopiſhen Weſen.

„Ju kleinen Cylindergläſern von der Dicke ſtarker Federſpulen ſind ſie ſehr gut zu beobachten und {hon mit bloßem Auge erkennbar. Haben ſie darin Nahrung, ſo legen fie alsbald diht unter dem Waſſerrande ihre horizontal gelegten Eier am Glaſe ab, die man mit der Lupe deutlich erkennt und unter dem Mikroſkop im verſtöpſelten weißen Glaſe beobachten kann. Mit einer pinſelartigen Federſpiße kann man ſie abnehmen, auf ein flaches Glas bringen und ſie offen betrachten. Schon nah 2—8 Tagen ſieht man reichliche Vermehrung der Tiere und leere Eierſchalen unter den vollen Eiern. Über das Erkenntnisvermögen, die Wahlfähigkeit und den Ortsſinn, auh einen Geſellſchaftsfinn dieſer Tierchen fann fein Zweifel bei denen bleiben, welche ſie mit Luſt beobahten. Man mag dieſe Erſcheinungen Jnſtinkt, oder wie man will, nennen, ſo bleiben es jedenfalls Geiſtesthätigfeiten, die man doh nur aus Eitelkeit gern niedriger ſtellt, als ſie es ſind.“ Wir müſſen hier zur Ergänzung unſerer obigen Angaben über den Bau des Notenus hinzufügen, daß man bei allen größeren Rädertieren in der Schlund- und Na>tengegend eine anſehnliche Nervenmaſſe, dem Schlundring der Gliedertiere entſprechend, entde>t hat, und daß bei vielen mit dieſer Art von Gehirn Augen mit ordentlichen, lihtbrehenden und zur Vilderzeugung dienlihen Linſen in unmittelbarer Verbindung ſtehen. Über die ans Fabelhafte grenzende Vermehrung der Hydatina senta leſen wir ferner in dem großen Fnfuſorienwerke Ehrenbergs: „Ein junges Tierchen bildete ſhon in 2—8 Stunden nah dem Auskriechen die erſten Eikeime aus, und binnen 24 Stunden ſah ih aus zwei Fndividuen dur< Eibildung (Keimbildung; — ih weiſe auf die Sommereier der Daphnien) 8 entſtehen, 4 aus einem größeren, 2 aus einem kleineren. Bei gleicher Fortbildung von täglich 4 Eiern und deren Aus\clüpfen gibt dies in 10 aufeinander folgenden Tagen eine mögliche Produktion von 100,048,576 Jndividuen von einer Mutter, am folgenden elften Tage aber 4,000,000. Dergleichen Berehnungen ſind nun zwar, beſonders für längere Zeiträume, deshalb ſehr unſicher, weil eine ſolche Produktivität bei einem und demſelben Organismus nie ſehr lange anhält; allein, wenn es ſi< um die Erklärung der faſt plößlihen Erſcheinung großer und auffallender Mengen ſolcher Organismen handelt, ſo geben die obigen Erfahrungen dem nüchternen Beuteiler Mittel an die Hand, um alle eingebildete Zauberei und Myſtik in das Geleiſe der gewöhnlicheren, an ſih weit mächtiger ergreifenden wahren Naturgeſeße zu bringen.“

Manche Formen legen ihre Eier ab, andere tragen ſie an ihren Leib geheftet mit ſi< herum, und die dritten endlich ſind lebendig gebärend. So der gemeine Rotifer yulgaris. Hier durchlaufen die Eier in der Leibeshöhle ihre Entwickelung und werden ſo groß, daß

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