Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6

Gemeiner Regenwurm. 113 daß ihre verſte>te, unterirdiſhe Lebensweiſe es mit ſi< bringt, daß dieſe Verfolgungen ziemlih oder ganz wirkungslos bleiben.

Die Sinnesthätigkeiten des Regenwurmes haben uns veranlaßt, ſhon auf ſeine Lebensweiſe einzugehen. Wir kehren jedo< no<mals zu ſeinen anatomiſchen Eigenſchaften zurü>, welche vielleiht mancher Leſer ſi<h von einem befreundeten Arzt oder Naturforſcher an einem friſchen Tiere darſtellen läßt. Was wir oben über die Blutgefäße geſagt haben, erläutert ſih an kleineren, weniger gut genährten Fndividuen unſerer Regenwürmer ſehr gut. Mit bloßem Auge ſieht man durch die Haut die oben auf dem Darmkanal verlaufende Hauptader und ihren rötlichen Fnhalt dur<ſhimmern. Troß ſeines roten Blutes hat der Regenwurm faſt 2000 Jahre im Syſtem unter den „blutloſen“ Tieren figuriert, bis ihm Linné eine Stelle unter den Tieren „mit weißlichem kalten Blute und einem Herzen mit Kammer, aber ohne Vorkammer“ einräumte. So will alle Erkenntnis, auth die ſcheinbar nächſtliegende, gezeitigt ſein. FJenem Rückengeſäß korreſpondiert am Bauche ein zweites Hauptgefäß, mit dem erſten dur<h eine Reihe von Querſchlingen verbunden. Eine Menge kleiner Adern kann man an einem ſchnell in ſtarkem Weingeiſte getöteten und geöffneten großen Regenwurm aus den Stammgefäßen ihren Urſprung nehmen ſehen, um in feinſten Verteilungen den Körper zu durhtränken und zu ernähren. Als Atmungsorgane treten die Hautbede>ungen ein. Die Regenwürmer und Verwandte ſind Zwitter. Nicht alle Gattungen der Lumbricina beſißen den drüſigen Gürtel von weißliher oder gelblicher Farbe, welcher etwa mit dem 25.—29. Ringe anfängt und ſi<h 4—10 Glieder weit erſtre>t. Er dient zum gegenſeitigen Feſthalten während der Begattung. Die Eier befeſtigen ſi< zunächſt in einem Sekret von Hauldrüſen, welches ringförmig den Körper des Regenwurmes umgibt. Dieſes Sekret erſtarrt zu einer hornigen Maſſe, aus welcher der Wurm herauskrie<ht, und die dann als Ningkokon zurüdbleibt.

Der gemeine Regenwurm verlebt den Winter, einzeln oder mit ſeinesgleichen zu langem Schlafe zuſammengeballt, 6—8 Fuß unter der Erde. Die Frühlingswärme we>t auch ihn und lo>t ihn wieder empor. Er iſt des Tages Freund niht, aber in der Früh- und Abenddämmerung und bis tief in die Nacht hinein, beſonders nah warmem, nicht heftigem Regen, verläßt er ſeinen Schlupfwinkel, teils um ſeiner Nahrung nachzugehen, teils um mit einem der Freunde und Nachbarn ein intimes Bündnis zu ließen.

Bei dieſer Friedfertigkeit und Beſcheidenheit lauert tauſendfaher Tod auf die armen Regenwürmer. Unterdrückten kann man ſie vergleichen, denen man ſelbſt ihre nächtlichen, geräuſchloſen Zuſammenkünfte niht gönnt. „Der Regenwurm“, ſagt Hoffmeiſter, „gehört zu den Tieren, die den meiſten Verfolgungen ausgeſeßt ſind. Der Menſch vertilgt ſie, weil ex ſie beſchuldigt, die jungen Pflanzen unter die Erde zu ziehen. Unter den Vierfüßern ſind beſonders die Maulwürfe, Spißmäuſe und Jgel auf ſie angewieſen. Zahllos iſt das Heer der Vögel, das auf ihre Vertilgung bedacht iſt, da niht bloß Naub-, Sumpfund Shwimmvögel, ſondern ſelbſt Körnerfreſſer ſie für raren, le>eren Fraß halten. Die Kröten, Salamander und Tritonen lauern ihnen des Nachts auf, und die Fiſche ſtellen den Flußufer- und Seeſhlammbewohnern nah. Noch größer iſt die Zahl der niederen Tiere, die auf ſie angewieſen ſind. Die größeren Laufkäfer findet man beſtändig des Nachts mit der Vertilgung dieſer ſo wehrloſen Tiere beſchäftigt, die ihnen und noh mehr ihren Larven eine leiht? Beute werden. Jhre erbittertſten Feinde ſcheinen aber die größeren Arten der Tauſendfüßer zu ſein. Dieſen zu entgehen, ſieht man ſie oft am hellen Tage aus ihren Löchern entfliehen, von ihrem Feinde gefolgt.“

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Brehm, Tierleben. 3, Auflage. X. 8