Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6

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Einteilung der Plattwürmer. Entwickelung des Bandwurmes. 175

Mit den Trichinen ſind die Bandwürmer ſo populär, daß man au< in guter, niht gerade mediziniſcher Geſellſchaft wagen darf, von ihnen und ihren Lebensſchi>ſalen eingehender zu ſprehen. Sich mit ihnen, ihren Verwandlungen und unfreiwilligen Wanderungen bekannt zu machen, iſt niht bloß Pflicht einer jeden Hausfrau, welche in ihrer Küche eine vernünſtige Sanitätspolizei üben will, ſondern auh das Jntereſſe an der Zuſammenſeßzung des merkwürdigen Vielweſens, das man Bandwurm (als ob es nur ein Tier wäre) zu nennen gewohnt iſt, und an den Frrfahrten ſeiner Jugendzuſtände iſt in den Vordergrund zu ſtellen, Schließlich iſt der in einem weißen Glaſe in reinem Spiritus mit Hilfe einer Glasfugel muſeummäßig aufbewahrte Bandwurm nichts weniger als unappetitlih. Auch braucht man ja nicht gerade an die menſhli<hen Bandwürmer zu denfen. Hunde, Katen, Fröſche, Fiſche liefern deren zu beliebiger Auswahl. Am allervertrauteſten machen wir uns aber ohne jeden äſthetiſhen Skrupel mit jenen Gäſten der Schnepfe, wenn wir ſie, mit gewiſſen Beſtandteilen des Vogels zubereitet, als Delikateſſe

genießen.

Erſte Ordnung. Die Bandwürmer (Cestodes).

Wir gehen alſo friſh daran und verſtändigen uns zuerſt über die Beſtandteile, die Zuſammenſeßung und die Bedeutung des ſogenannten „Vandwurmes“, einer Kolonie oder eines Tierſto>kes, wie wir ſehen werden, deſſen Bedeutung freili<h au<h erſt wieder dur die Entwi>kelungsgeſchichte ins rechte Licht geſeßt wird. Wir halten uns dabei zunächſt an die Gruppe der eigentlihen Bandwürmer (Taeniadae), zu welcher auh einige den Men{hen bewohnende Arten gehören, da ihre Naturgeſchichte in allen Einzelheiten bekannt, während für die übrigen Gruppen vollen Aufſ<hluß zu geben der Zukunft vorbehalten iſt.

Es iſt jedermann geläufig, an dem Bandwurm, wie er im Menſchen und in vielen Tieren ſich aufhält, den „Kopf“ mit einem kurzen, fadenförmigen „Halſe“ und die „Glieder“ zu unterſcheiden, wobei man ſih keine Rechenſchaft gibt, was man denn eigentlih mit dem Ausdru> „Glied“ bezeihnet. Der Kopf des Bandwurmes trägt bei einer Abteilung von Arten einen Kranz von Haken auf einem kleinen rüſſelartigen Vorſprunge, die ihm natürlih zur größeren Sicherung und Befeſtigung im Darme ſeines unfreiwilligen Gaſtgebers dienen. Man würde jedo< ſehr irren, zu meinen, daß die niht mit dem Hakenfranz verſehenen Arten darum weniger hartnäcig ſind. Den beſten Beleg dazu gibt der hakenloſe Bandwurm des Menſchen, die Taenia saginata, der man im allgemeinen ſtärker zuſeßzen muß, um ſie „abzutreiben“/, als der beſtahelten Taenia soliunm (\. Abbild. S. 176). Rings um den Kopf ſind vier Saugnäpfe angebraht, welhe als Haftorgane wie die Bauchnäpfe der Trematoden wirken. Nach einer Mundöffnung ſowie na<h einem Darmfanal ſuchſt du beim Bandwurm vergeblich; er iſt in derſelben glü>lihen Lage wie die Kraßzer, niht einmal eſſen zu brauchen und ſih do<h mittels der durch ſeine ganze Dberfläche vor ſi< gehenden Aufſaugung, dur<h Dsmoſe, gut zu nähren.

Aufſaugung von Flüſſigkeiten dux< die Haut iſt zwar bei den höheren Tieren kaum nachweisbar, bei den niederen aber nah der Beſchaffenheit ihrer Körperbede>ungen vielfa< vorhanden. Wir werden die Vorſtellung niht abweiſen können, daß die Vorfahren der Bandwürmer, indem ſie allmählih Paraſiten wurden, die Aufnahme der Nahrung durh den Mund mit der unwillkürlichen Aufſaugung dur die Haut vertauſchten, und daß der