Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6

176 Würmer. Sechſte Klaſſe: Plattwürmerz; erſte Dvdnung: Bandwürmer.

Darmkanal niht nur nah und nah außer Dienſt geſcßt wurde, ſondern au< zum vollſtändigen Schwunde kam.

Man pflegt, wie oben geſagt, den unmittelbar aus dem Kopfe hervorgehenden, gänzlih ungegliederten Körperteil „Hals“ zu nennen. Wir werden ſehen, daß er aufs engſte zum Kopfe gehört. Auf den Hals folgen die ſogenannten „Glieder“. Die unmittelbar am Halſe ſißenden ſind kaum andeutungsweiſe voneinander getrennt, ſie ſcheiden ſich, je mehr ſie ſi< entfernen, immer ſchärfer und hängen am Ende des „Bandwurmes““, wo ſie, wie man ſagt, „reif“ werden, nur noch loſe aneinander, ſo daß ſie ZJ einzeln oder auh zu zweien und dreien verbunden aus dem Wirte

Y) ausgeſtoßen werden. Es iſt jedem, der mit dem Bandwurm eine Erfahrung gemacht hat, klar, daß die Glieder ſi<h loslöſende Knoſpen des vorderen Endes des Bandwurmes, namentli<h des Kopfes und Halſes, ſind, daß alles Abtreiben des Tieres nichts hilft, ſolange der Kopf niht zum Vorſchein gekommen, der die ganze Kette aufs neue ſproſſen läßt. Man nahm aber Anſtand, den Bandwurm als einen Tierſto> aufzufaſſen, da gerade die „Glieder“ der am häufigſten zur Beobachtung kommenden Arten ſo wenig den Eindru> ſelbſtändiger tieriſcher Jndividuen machen. Sie bewegen ſi< kaum oder niht anders als losgelöſte Organe, ſie haben ebenſowenig wie das ganze Gebilde, von dem ſie ſich losreißen, einen Mund und Verdauungskanal, ſie erſcheinen mitunter, z. B. beim Froſch-Bandwurm, als bloße Eierſchläuche. Etwas anders verhält es ſi<h bei man<hen Bandwurmgattungen der Fiſche, wo die lo3gelöſten Glieder tagelang unter lebhaften Bewegungen fortleben. Aller Zweifel wird aber gehoben, wenn man dieſe ſo-

/ (M genannten Glieder in der Kette der ganzen Entwi>elung betrachtet Beſtahelter Band- Und dieſelbe mit dem Generationswe{hſel vieler anderen Tiere und wurm (Taenia solium). beſonders auh der Saugwürmer vergleicht. Es ergibt ſih dann, daß

E der Bandwurm aus zwei ganz verſchiedenen Sorten von Fndividuen

beſteht.

Beim Bandwurm iſt die eine, die Ammengeneration, der Kopf mit ſeinem ungegliederten Halſe, deſſen Herkommen wir bald verfolgen werden, und welcher eine Zeit hindurch iſoliert beſteht, d. h. ohne Knoſpen. Nachdem aber die Bandwurmamme ſich bei ihrem Wirte häuslich eingerichtet und mit dem Kopfe fixiert hat, ſchreitet ſie zur Bildung einer Nachkommenſchaft, die ſie als Knoſpen nah und nah aus dem Hinterende ſproſſen läßt; und dieſe ſogenannten Bandwurmglieder, ſo wenig ſelbſtändig ſie au oft erſcheinen, repräſentieren in jedem Falle die Geſchlehtstiere, die höchſte Form, mit welcher der Kreis der Zeugung und Entwickelung abſchließt. Die freiwilligen Lebensäußerungen der Bandwürmer ſind auf allen Stufen der Entwickelung ſo gering und beſchränkt, daß es in der That nur des Willens bedarf, ſich von einer althergebrachten Anſicht loszuſagen, um nicht mehr das ganze Bandwurmgebilde, ſondern das reife Glied desſelben als ein Fndividuum zu betraten. Die Thätigkeit des Bandwurmes geht über gemeinſchaftlihe Verlängerung, Verkürzung, eine ſih über alle Glieder fortſeßende Wellenbewegung niht hinaus. Der Kopf, als ein Fndividuum niederer Ordnung der Erzeuger der Gliederkette, iſt zugleih als eine Art von Organ im Dienſte des Stockes, der mithin aus zweierlei JFndividuen von verſchiedener Geſtalt und Leiſtung zuſammengeſeßt iſt und in dieſer Vereinigung allerdings auch eine Einheit bildet. Dieſe Anſchauung, mit der man ſich zum Verſtändnis vieler Vorkommniſſe der niederen Tierwelt vollkommen vertraut machen muß, läßt ſi dur den Hinweis auf die Tiergeſellſhaften der Bienen und anderer Hautflügler illuſtrieren. Das

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