Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6

Entwickelung des Bandwurnies. 177

Vienenweſen, der „Bien“, wie man es auch genannt hat, iſt eine Einheit, zu welcher mehrere Sorten von Jndividuen in ganz verſchiedener Thätigkeit beitragen. Von dieſer in ſeinen Gliedern mehr freiheitlihen Gemeinſchaft ſteigt die Vorſtellung leichter zu jenen organiſch verbundenen Kolonien der „Bandwürmer“ und vieler polypenartigen Weſen herab, wo das Judividuum mehr der Jdee nah als in Wirklichkeit beſteht, und ſtatt der freien, ſelbſtändigen Weſen ſehr unvollkommene, unſelbſtändige Surrogate derſelben uns entgegentreten. Wix erinnern uns denn auh bei dieſem geringen Anlaß an des Dichters Worte:

„Immer ſtrebe zum Ganzen, und kannſt du ſelber kein Ganzes

Werden, als dienendes Glied \{ließ" an ein Ganzes dih an.“ Allen jenen tieriſchen, vielgeſtaltigen Gemeinſchaften fehlt „die angeborene Farbe der Entſchließung“, welche die höhere ſtaatlihe Ordnung charakteriſieren ſoll. Allein wohin geraten wir doh vom Bandwurm! Wir ſtehen bei ſeinen „dienenden Gliedern“, inſofern ſie, zur Reife gelangt, dur eine äußerſt ergiebige Eiproduktion für die Erneuerung des Entwi>elungskreiſes ſorgen, in welchem die Art ſih bewegt.

Man ſieht in den erſten platten Bandwurmgliedern gewöhnlich ſchon mit bloßem Auge den Eihalter, der aus einem mittleren Stamme und nach beiden Seiten abgehenden, unregelmäßigen Äſten beſteht. Dieſes Organ iſt diht mit Eiern erfüllt. Durch die dide, oft doppelte Schale derſelben erkennt man ein kleines, kugeliges Weſen, welches mit drei Paar Häkchen bewaffnet iſ. Wenn jemand, mit der Kenntnis der Entwi>kelungsgeſchichte der übrigen Eingeweidewürmer ausgerüſtet, an die ihm bisher unbekannten Bandwürmer käme, er würde aus der Feſtigkeit der Eihüllen und der Bewaffnung" der Embryonen und aus dx Beobachtung, daß dieſe Eier maſſenhaft ins Freie gelangen, age e E den Verdacht hegen, daß au< die Bandwürmer allen Unbilden der Witterung, der Näſſe und Tro>nis, der Berührung mit gärenden und faulenden Subſtanzen ausgeſeßt ſein können, ohne dieſe Einflüſſe bis zu ihrem Fnhalt gelangen zu laſſen, daß ſie beſtimmt ſind, dur einen jener tauſend möglichen Zufälle in ein Tier zu geraten, daß dann der ſe<shakige Embryo frei wird und mit Hilfe ſeiner ſe{<s Spießchen ſi in ſeinem Wirte nah einem beſtimmten Organ hin auf die Wanderung begibt. So iſt es. Jn den Kreis dieſer Entwi>elung, zu welcher die eingewanderten, ſechShakigen Larven fortſchreiten, gehören nun jene Zuſtände und Formen, welche man faſt ein Jal rhundert hindur< unter dem Namen der „Blaſenwürmer“ als ſelbſtändige Tiergattungen im Syſtem verzeichnet hatte, die auh dem Laien bekannten Finnen und Queſen. Blaſenwürmer nannte man ſie, weil ihr Leib blaſenförmig dur< eine wäſſerige Flüſſigkeit aufgetrieben iſt, und über ihre ſehr nahe Verwandtſchaft mit den Bandwürmern gab die oberflächli<hſte Vergleihung ihrer Köpfe längſt Aufſchluß, die eben nihts anderes als wahre Bandwurmköpfe ſind. Als man vor etlichen 40 Jahren anfing, den Wanderungen der paraſitiſhen Würmer auf die Spur zu kommen, verfiel man auf die Vermutung, die ſo offenbar mit den Bandwürmern verketteten Blaſenwürmer ſeien nihts anderes als verirrte, auf ihrer Wanderung in unre<hte Organe gelangte Fndividuen, welche dort krank und waſſerſühtig geworden. Die Finnen alſo, die bekannteſten aller, ſeien ſtatt in den Darmkanal in das Fleiſh gelangt, wo ſie eigentlih eine ret elende Exiſtenz hätten und ihren Lebenszwe> vollſtändig verfehlten. |

Es iſt das Verdienſt Küchenmeiſters, die Frage über das Verhältnis der Blaſenwürmer zu den Bandwürmern in das rete Geleiſe gebracht und dur< überzeugende Nachweiſe und Experimente dahin entſchieden zu haben, daß die Blaſenwurmform der normale,

Brehm, Tierleben. 3. Auflage. X. 12