Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6, page 302

960 Weichtiere. Erſte Klaſſe: Kopffüßer.

Cephalopoden höchſtens eine Größe von 3—4 Fuß beilegen wollte. Jeßt weiß man allerdings, daß es gewaltige Rieſen unter unſeren Tieren gibt; doh hat man no< immer nur eine ſehr ungenügende Nachricht von ihnen und kann bei vielen derſelben niht beſtimmen, ob dieſe Rieſencephalopoden bloß außerordentlih alte und darum ſo ſehr große Tiere ſind, wie es bei den Fiſchen iſt, die ebenſo wie die Bäume beſtändig wachſen, oder ob ſie beſonderen Arten angehören, welche uns ihres pelagiſhen (auf hohem Meere) Lebens wegen bisher und in den Jugendformen entgingen, ſtets aber, um zur Reife zu gelangen, dieſe Nieſengröße erreichen müſſen. Die erſtere Annahme ſcheint mir die wahrſcheinlichere und erklärt auh die Seltenheit dieſer Rieſentiere, indem nur wenige den zahlreichen Feinden entgehen und ein außerordentlich hohes Alter erreichen werden. Allerdings iſt damit no< nicht geſagt, daß das hohe Meer, namentlich in ſeinen Tieſen, niht no viele Arten von Cephalopoden birgt, von deren Daſein wir zur Zeit no< keinen Begriff haben, und die ſih dur gewaltige Größe auszeihnen können.

„Schon Ariſtoteles erzählt von einem Loligo, der 5 Ellen lang war, und Plinius erwähnt die Angaben des Trebius Niger, nah denen zu Carteja ein Rieſenpolyp des Nachts an die Küſte kam, um die Fiſhbehälter zu plündern, und der die Hunde durch ſein Geſchnaube und ſeine Arme verjagte. Der Kopf dieſes Tieres, den man Lucull zeigte, war ſo groß wie ein Faß von 15 Amphoren, und ſeine Arme, die ein Mann kaum umklaftern fonnte, maßen 30 Fuß in der Länge und trugen Vertiefungen (Saugnäpfe), die eine Urne Waſſer faßten. Von dem größten Cephalopoden, dem ſogenannten Kraken, wird uns aber aus Norwegen berichtet, zuerſt von Dlaus Magnus, dann vom Biſchof Pontoppidan. Nach dem leßteren bemerken die Fiſcher beim Fiſchfang einen großen Reichtum von Fiſchen, dann aber auch, daß die Tiefe beſtändig abnimmt, ſie fliehen, denn es naht der Kraken. Dann erhebt ſich aus der Flut, erzählt er, ein breites, unebenes Feld von einer halben Stunde im Durchmeſſer, welches nicht ſelten 30 Fuß über die Oberfläche ſteigt. Jn den Vertiefungen, welche die Unebenheiten des Felsrüdens bilden, iſt Waſſer zurücgeblieben, in dieſem ſieht man Fiſche ſpringen. Nah und nach entwi>eln ſi die Hügel und Berge dieſer Jnſel zu immer ſteilerer Höhe. Von innen heraus, wie die Fühlhörner einer Schne>e, ſteigen Arme empor, ſtärker als der ſtärkſte Maſtbaum des größten Schiffes, mächtig genug, um einen 100 Kanonen führenden Koloß zu erfaſſen und in den Abgrund zu ziehen. Sie dehnen ſi< nac allen Seiten aus, ſpielen glei<ſam miteinander, neigen ſi<h zur Waſſerfläche, rihten ſih wieder empor und haben alle Beweglichkeit der Arme eines jeden anderen Polypen. Ein Junges dieſes Rieſentieres hatte ſi< 1680 in Nordland in Norwegen, wie es Friis beſchreibt, zwiſchen die Felſen eines engen Fjords eingeklemmt. Der ungeheure Körper, berichtet er, füllte die But ganz aus, die Arme waren um Felſen und Bäume geſchlungen, hatten dieſelben entwurzelt und ſi< an dem unzexrſtörbaren Eeſtein ſo feſtgehangen, daß man ſie auf keine Weiſe löſen fonnte.

„Die meiſten Angaben über dieſe Rieſenpolypen findet man in Montforts Naturgeſhichte der Mollusken. Dort wird von einem ſolhen Seeungeheuer erzählt, das an der Küſte von Angola ein Schiff an der Takelage mit ſeinen Armen in den Grund zu ziehen drohte und der glü>li<h geretteten Mannſchaſt Veranlaſſung gab, ihre höchſte Not auf einem Votivgemälde in der St. Thomaskapelle in St. Malo darſtellen zu laſſen. Ferner erzählt Montfort nah den Angaben des Schiffskapitäns Major Dens von einem Polypen, der in der Nähe von St. Helena mit ſeinen Armen ein Paar Matroſen von einem Gerüſt am Schiffe herabholte, und von dem eine in die Takelage verwirrte Spige eines Armes abgehauen 25 Fuß maß und mehrere Reihen Saugnäpfe trug.

„Einem ähnlich großen Tiere muß der Arm angehört haben, der von einem Walfiſch: fänger in der Südſee aus dem Rachen eines Kachelots genommen ſein und der 23 Fuß