Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6, page 619
Süßwaſſerpolypen: Neſſelorgane; ältere Veobachtungen. 563
das Leben der Süßwaſſerpolypen leſen, dient no< heute zur angenehmen Bereicherung unſerer Kenntniſſe. Wir ſind in der Mitteilung alter Beobachtungen ſehr ſparſam geweſen. Hier dürfen wir. uns eine Ausnahme erlauben. -
Trembley ſchreibt (nah der etwas ungelenken Überſeßung von Paſtor Goeze in Quedlinburg): „Fm Sommer 1740, den ih auf dem Landgute des Grafen Bentink,/ eine Viertelmeile von Haag, zubrachte, fand ih daſelbſt die Polypen. Als i< an den aus einem Waſſergraben gezogenen Pflanzen verſchiedene kleine Tiere bemerkte, ſo that ich einige dieſer Pflanzen in ein großes Glas mit Waſſer, welches ih inwendig aufs Fenſterbrett ſeßte, und hierauf fing ih an, die darin enthaltenen Jnſekten® näher zu betrachten. Sogleich fand ih viele, die zwar gemein ſind, mir aber größtenteils unbekannt waren. Ein ſo neues Schauſpiel, als mir dieſe Tierchen zeigten, erregte meine ganze Neubegierde. Da ich nun dies mit Jnſekten bevölkerte Glas mit den Augen durchlief, erbli>te ih zum erſten Male einen Polypen, der an dem Stengel eines Waſſerpflänzchens hing. Anfänglih achtete ih darauf niht viel. Vielmehr verfolgte ih gewiſſe andere kleine Jnſekten, die wegen ihrer Lebhaftigkeit meine Aufmerkſamkeit ſtärker als ein unbewegliches Objekt an ſih zogen, das, ſo man's nur im Vorbeigehen anſah, für nichts anderes als für eine Pflanze, vornehmlih von jemand konnte gehalten werden, der noh keinen Begriff von Tieren hatte, deren Geſtalt den Süßwaſſerpolypen, wie etwa die Seepolypen, nahe käme.
„Die Polypen, welche ih zuerſt entde>te, ſind von einer ſehr ſ{hönen grünen Farbe. Es waren ihrer verſchiedene in dem gedachten großen Glaſe. Die erſten Male, als ih dieſe Körperchen betrachtete, hielt ih ſie für Schmaroßerpflanzen, die auf anderen Pflanzen wachſen. Jhre Geſtalt, ihre grüne Farbe und Unbeweglichkeit brahten mih auf den Gedanken, daß es Pflanzen wären. Und dies iſt auh bei vielen Perſonen, die ſie in ihrer gewöhnlichen Stellung zum erſten Male geſehen haben, der erſte Gedanke geweſen.
„Das erſte, was ih an den Polypen bemerkt habe, war die Bewegung der Arme. Sie krümmten und drehten ſie ganz langſam nach verſchiedenen Seiten. Der vorgefaßten Meinung zufolge, die ih einmal im Kopfe hatte, die Polypen wären Pflanzen, konnte ich mir niht vorſtellen, daß ihnen die Bewegung, die ih oben am Ende der dünnen Fäden bemerfte, ſelbſt eigen wäre. Fndeſſen ſchien ſie es doh, und je mehr ih in der Folge die Bewegung dieſer Arme betrachtete, je mehr ſchien mir ſolhe von einer inneren Urſache und niht von einer äußeren Stoßkraft auf die Polypen herzurühren. Einsmals bewegte ih das Glas, worin ſie waren, ganz ſachte, um zu ſehen, was dieſe Bewegung des Waſſers für eine Wirkung auf die Arme haben würde. Hier war ih mir nun dergleichen, als ſie hervorbrachte, im mindeſten niht gewärtig. Anſtatt, daß ih erwartete, es würden die Arme und Körper der Polypen bloß im Waſſer mitbewegt werden und alſo der Bewegung des Waſſers folgen, ſo wurde ih gewahr, daß ſie ſich plößlih und ſo ſtark zuſammenzogen, daß der Körper der Polypen niht anders als ein grünes Körnhen ausſahe und die Arme ganz aus meinem Geſichte verſ<hwanden. Hierüber erſtaunte ih®. Meine Neubegierde wurde deſto mehr gereizt und meine Aufmerkſamkeit verdoppelt. Da ich nun mit dem Auge vermittelſt eines Handvergrößerungsglaſes verſchiedene Polypen,
+ Mit „Znſekten“ bezeihnete man die verſchiedenartigſten niederen Tiere. ;
* Der vortrefflihe Goeze macht hierzu folgende Bemerkung: „Fh wundere mich gar niht über die Verwunderung eines Trembleys. Man ſebe ſi<h in ſeine Stelle. Jh weiß es aus der Erfahrung, wie es mir ergangen, da ih die ſo ſehnli<h gewünſchten Polypen, von denen ih Begriff, Geſtalt, Bewegung und Eigenſchaften wußte, die ih hundertmal ſhon in Kupfer geſehen, zum erſten Male erbli>kte. Und ih-glaube, es werden alle die, welche ſie zum erſten Male zu Geſichte bekommen, gleiche Empfindungen haben. Was muß nun nicht ihr erſter Erfinder empfunden haben, da er merkte, daß es wahrhafte Tiere wären? -Tiere, mit denen er gleihſam auf der Stufe ſtand, wo die Natur aus dem Tier- zum Pflanzenreiche übergehen will!“
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