Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6, page 673
610 Hohltiere. Zweiter Unterkveis: Neſſeltiere; zweite Klaſſe: Blumenpolypen.
„Dieſe Pracht zu ſchildern vermag keine Feder und kein Pinſel. Die begeiſterten Scilderungen von Darwin, Ehrenberg, Ranſonnet und anderen Naturforſchern, dic ih früher geleſen, hatten meine Erwartungen hoh geſpannt; ſie wurden aber durch die Wirklichkeit übertroffen. Ein Vergleich dieſer formenreihen und farbenglänzenden Meerſchaften mit den blumenreihſten Landſchaften gibt keine rihtige Vorſtellung. Denn hier unten in der blauen Tiefe iſ eigentlich alles mit bunten Blumen überhäuft, und alle dieſe zierlihen Blumen ſind lebendige Korallentiere. Die Oberfläche der größeren Korallenhänke, von 6—8 Fuß Durchmeſſer, iſt mit Tauſenden von lieblichen Blumenſternen bede>t. An den verzweigten Bäumen und Sträuchen ſißt Blüte an Blüte. Die großen bunten Blumenkelche zu deren Füßen ſind ebenfalls Korallen. Ja ſogar das bunte Moos, das die Zwiſchenräume zwiſchen den größeren Stö>en ausfüllt, zeigt ſih bei genauerer Betrachtung aus Millionen winziger Korallentierhen gebildet. Und alle dieſe Blütenpracht übergießt die leuchtende arabiſche Sonne in dem kriſtallhellen Waſſer mit einem unſagbaren Glanze!
„Jn dieſen wunderbaren Korallengärten, welche die | agenhafte Pracht der zauberiſchen Heſperidengärten übertreffen, wimmelt außerdem ein vielgeſtaltiges Tierleben der mannigfaltigſten Art. Metallglänzende Fiſche von den ſonderbarſten Formen und Farben ſpielen in Scharen um die Korallenkelche, gleih den Kolibris, die um die Blumenkelche der Tropenpflanzen ſhweben. — Noch viel mannigfaltiger und intereſſanter als die Fiſche ſind die wirbelloſen Tiere der verſchiedenſten Klaſſen, welche auf den Korallenbänken ihr Weſen treiben. Zierliche durhſihtige Krebſe aus der Garneelengruppe klettern zwiſchen den Korallenzweigen. Auch rote Seeſterne, violette Sghlangenſterne und ſhwarze Seeige! klettern in Menge auf den Äſten der Korallenſträucher, der Scharen bunter Muſcheln und Schne>en niht zu gedenken. Reizende Würmer mit bunten Kiemenfederbüſchen ſchauen aus ihren Röhren hervor. Da kommt auch ein dihter Shwarm von Meduſen geſhwommen, und zu unſerer Überraſchung erkennen wir in der zierlihen Glo>e eine alte Bekannte aus der Oſtſee und Nordſee, die Qualle.
„Man könnte glauben, daß in dieſen bezaubernden Korallenhainen, wo jedes Tier zur Blume wird, der glüſelige Friede der elyſiſhen Gefilde herrſht. Aber ein näherer Bli in ihr buntes Getriebe lehrt uns bald, daß auch hier, wie im Menſchenleben, beſtändig der wilde Kampf ums Daſein tobt, oft zwar ſtill und lautlos, aber darum niht minder furhtbar und unerbittlich. Die große Mehrzahl des Lebendigen, das hier in Üüppigſter Fülle ſich entwi>elt, wird beſtändig vernichtet, um die Exiſtenz einer bevorzugten Minderzahl zu ermöglichen. Überall lauert Schre>en und Gefahr. Um uns davon zu überzeugen, brauchen wir bloß ſelbſt einmal unterzutauchen. Naſh entſchloſſen ſpringen wir über Bord und ſchauen nun erſt, von wunderbarem grünem und blauen Glanze umgoſſen, die Farbenpracht der Korallenbänke ganz in der Nähe. Aber bald erfahren wir, daß der Menſch ungeſtraft ſo wenig unter Korallen wie unter Palmen wandelt. Die ſpizen Za>en der Steinkorallen erlauben uns nirgends, feſten Fuß zu faſſen. Wir ſuchen uns einen freien Sandfle> zum Standpunkt aus. Aber ein im Sande verborgener Seeigel (Diadema) bohrt ſeine fußlangen, mit feinen Widerhaken bewaffneten Stacheln in unſeren Fuß; äußerſt ſpröde, zerſplittern ſie in der Wunde und können nur dur< vorſichtiges Ausſ<hneiden derſelben entfernt werden. Wir bü>en uns, um eine prächtige ſmaragdgrüne Aktinie vom Voden aufzuheben, die zwiſchen den Schalenklappen einer toten Nieſenmuſchel zu ſißen ſcheint. Jedoh zur reten Zeit no< erkennen wir, daß der grüne Körper keine Afktinie, ſondern der Leib des lebenden Muſhheltieres ſelbſt iſt; hätten wir es unvorſichtig angefaßt, ſo wäre unſere Hand durch den kräftigen Schluß der beiden Shalenklappen elend zerquetſht worden. Nun ſuchen wir einen ſchönen violetten Madreporenzweig abzubrechen, ziehen aber raſch die Hand zurü>, denn eine mutige leine Krabbe