Brehms Tierleben eallgemeine Kunde des Tierreichs : mit 1800 Abbildungen im Text, 9 Karten und 180 Tafein in Farbendruck und Holzschnitt 6

660 Urtiere, Erſte Klaſſe: Jnfuſorien,

einfache Protoplasma- Fnhalt weitere Verwandlungen, z. B. in den Fnhalt der Muskelund der Nervenfaſern eingeht, verharrt er bei anderen, und das ſind eben die Protozoen, in ſeiner uxſprünglichen Einfachheit und Formloſigkeit und verleiht dem ganzen Organismus das Gepräge eines tieferen, man darf ſagen, anfängliheren Standpunktes.

Unter dieſen Umſtänden iſt eine allgemeine Schilderung der Uxtiere unmöglih. Es gehören nah der Meinung vieler Naturforſcher große Gruppen von Organismen hinzu, deren tieriſhe Natur von anderen mit guten Gründen angezweifelt wird. Wir kommen mit ihnen überhaupt in das Grenzgebiet der Pflanzenwelt, und es iſ viel darüber geforſ<ht und geſtritten worden, ob es wirkliche Grenzen zwiſchen beiden Reichen gäbe, oder ob niht vielmehr Weſen zweideutiger oder einfacher Beſchaffenheit den Übergang zu einem unmerklihen machen. Es darf niht mehr daran gezweifelt werden, daß wirklich ein ſolches Mittelreih beſteht. Wir geraten ferner beim Studium dieſer Protozoen in das ſchwierige Kapitel der ſogenannten Urzeugung und mit ihm faſt an die Grenze der thatſählihen Forſchung.

Erſte Klaſſe. Die Infuſorien (Infusor1a).

Solange ih in Berlin ſtudierte, hatte ih das Glück, jeden Freitag, wenn es das Wetter zuließ, mit meinem innig verehrten Lehrer Ehrenberg auf die Fnfuſorienjagd gehen zu dürfen. Die Ausrüſtung beſtand in einem kleinen Kätſcher aus Leinwand, der ſih an einem langen, aber zerlegbaren und bequem in der Taſche zu tragenden Stab anſchrauben ließ, zahlreichen kleinen Stangengläschen, welche in einer gefächerten Blechfapſel aufbewahrt wurden, und einem guten einfahen Vergrößerungsglas, einer Lupe. So wanderten wir bald zu einem, bald zum anderen Thore hinaus, meiſtens aber hinter Moabit in die Umgebung des vom Berliner ſo hoh gehaltenen Plößenſees. An Lachen und Gräben wurde Halt gemacht, wir wußten ſchon die Standörter von dieſem und jenem ſchönen Tierchen, und es gelang in der Negel dem Profeſſor mit einigen Kätſcherzügen, die gewünſchte Art oder eine paſſende Stellvertreterin in einem der ſauberen Gläschen zu haben. Am folgenden Tage bei der Vorleſung pflegten dann die Gefangenen den Zuhörern unter dem Mikroſkop vorgeſtellt zu werden. Jh gehe ſeit jener glüc>lihen Studienzeit faſt nie ins Freie, ohne in ähnlicher Weiſe, wie eben beſchrieben, zum Nachhauſebringen von allerlei mikroſkopiſhem Getier vorbereitet zu ſein, denn überall iſt es zu haben, wo es noch ſtehendes oder langſamer fließendes Waſſer gibt. Und wenn wir auh in dex neueſten Zeit dur< die Unterſuchungen einer Reihe hervorragender Forſcher (Stein, Balbiani, Bütſchli, Gruber 2c.) zu einem gewiſſen befriedigenden Abſ{<luüß unſerer Kenntniſſe über die Fnfuſorien gelangt ſind, ſo iſt doh no< vieles auszugleihen. Wären aber auh alle ihre Strukturx- und Entwi>elungsverhältniſſe vollkommen erkannt, ſo würde die Luſt, ſie bloß anzuſchauen und in ihrer Lebendigkeit zu beobachten, immex und immer wieder in uns rege werden.

Die Entwi>elungsgeſchihte der Fnſuſorienwelt iſt eine höchſt lehrreiche. Sie konnte überhaupt nur mit der Entde>ung und Vervollkommnung der Mikroſkope beginnen und vorwärts ſchreiten. Wix müſſen es uns verſagen, dieſe Seite zu berütſihtigen. Wenn man aber von den JFnſuſorien, d. h. auf Deutſh den Aufgußtierhen, reden will, ſo müſſen wir wenigſtens einige Mitteilungen und Erklärungen über dieſes vielſah mißverſtandene Wort und die zahlloſen darauf bezüglichen Verſuche geben. Eine vollſtändige