Der Gottesbegriff meister Eckharts : ein beitrag zur bestimmung der methode der Eskhartinterpretation

„Nü tilget liden alle sünde; dä von so muoz got ze aller zit bi dem menschen sin, daz in liden ist“ (Pf. 104: 359,6). Wie wir als Sünder gar nicht existent sind, können wir als solche auch nicht zu Gott kommen. Zugang zu ihm haben wir erst wieder, wenn wir die Sünde überwunden haben. Dann aber fordert Gott keine nachträgliche Buße mehr, denn er ist ein Gott der Gegenwärtigkeit, im ewigen Nu, wo es kein „gewesen“ gibt, sondern nur ein bloßes Nu, Gegenwart. Da aber in der Gegenwart die Sünde überwunden ist, so ist sie auch vergessen und abgetan. Für den, der seine Sünde überwunden hat, gibt es keine Vergeltung mehr und keine Verdammnis. Wer aber in der Sünde steht, für den ist die Sünde selbst schon Vergeltung und ewige Verdammnis’”).

2, Wie Sein und Nichts total auf einander hingeordnet, das Nichts gleichsam die Gelegenheit ist, bei welcher sich das Sein expliziert und überhaupt erst entsteht, wird, so verhält es sich mit dem wesenhaften Ich, seinem korrelativen Pol: Gott und der Sünde. Die Sünde bewährt darin eine eminent positive Kraft, daß sie erst die Kraft des Seins, der Tugend, der Gerechtigkeit zur Entfaltung treibt. Wie Eckhart an dem Johannesvers: „Lux in tenebris lucet“ das Verhältnis von Gott — Kreatur hinsichtlich des Seinsbegriffs dargestellt hatte, so geschieht es jetzt mit Tugend und Sünde. Aus der Schwachheit der Sünde tritt überhaupt erst die Kraft der Tugend ins Licht‘®). Darum hat Gott ganz bewußt die Sünde in seinen Heilsplan aufgenommen als ein Erziehungsmittel des Menschen zu seinem eigenen Wesen und zu Gott, und das Ih nimmt die Sünde in froher Bejahung auf sich, da sie aus Gottes Willen kommt und nur zum höchsten Ziel, zur Seligkeit

5) Eckhartzitated. Skutella, ZfdA 71. (1954) p. 76: Meister Eckhart spricht: als gote aigen ist ain sin denne in einem bloßen nu und het weder ver noch nad. Also ist ouch sin aigen daz er uber nieman gericht gebe. Wan in ainem gegenwertigen nun an als got was noch fer noch nach nur als sin wesen ist anders nit denn in einem gegenwurtigen nu. Und hierumb so richtet er den menscen nit anders wan als er den menschen vindet in dem gegenwurtigen nu. Und hette ain mensch alle die sünd getan die ie getan ward der mensch moechti sich in einem kurtzen nu keren zu got und keren von den sunden und missevallen haben in den sunden das der mensch siner sund ledig. und das got den menschen enkeine wise moehti verdammen. Won er vindet den menschen zuo der stund daz kein sund siner sel anhaftet, wan kein sund haftet an der sele, wan da sich die sele mit der minne zuo bindet. Und hierumb so sich ain mensche mit ainem missevallen ker von der sunde so mag enkein sunde uff in funden werden. Und hierumbe so moehti got nit mit aller gerehtikeit zuo der stund die sel verdampnen. ef. RAU. 21,1—25; 44,10ff: BgTr, 16,27 ff; Pf. Pred. 15!

655) BgTr. 16,25; 24,30; RdU. 14,32; 20, 15—21, 25.

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