Die Physiognomie des Menschen

Gemütsbewegungen der Menschen kenntlich und offenbar sein, damit ein jeder für sein Wohl sorge und sich zuverlässigen und rechtschaffenen Menschen geselle, die schlechten und unrechten aber meide, wie uns denn der Lehrer der Weisheit lehrte: „Mit einem Zornigen wohne nicht zusammen und mit einem Neider speise nicht. Gehe nicht in den Rat der Gottlosen und der Eitelkeit. Wenn sie dich rufen werden: „Komm mit uns!“, gehe nicht zu ihnen!“ Polemon!) sagt: Wenn etwas den Menschen helfen kann, so die Physiognomik. Niemand wird ein Gut oder einen Schatz oder eine Frau dem anvertrauen, eine Freundschaft mit dem eingehen, den zum Nachbar sich wählen, an dem er die Zeichen der Ausgelassenheit, der Unzuverlässigkeit oder eines anderen Fehlers bemerkt hat. Denn wie die Kunst der Seher oder die Orakel der Götter zeigt uns diese Wissenschaft als schnellste Art der Weissagung auch ohne längere Bekauntschaft, wie wir die Art der Rechtschaffenen erkennen und das Unredt und die Schandtaten der Frevler meiden können. Mit größtem Eifer müssen wir daher unser künftiges Recht zu erlernen trachten. Von der Stirn, aus dem Gesicht, sagt Adamantius?), spricht die Natur, wenn auch der Mund schweigt. Nach Zeno behauptete der Philosoph Cleanthes, man könne an dem Aussehen den Charakter erkennen. Jamblichus erzählt, bei den Pythagoräern’) habe der Brauch geherrscht, die als Schüler Kommenden erst zuzulassen, wenn man Gestalt, Gang und Körperbewegungen genau betrachtet hatte, um lediglich aus den äußeren Zeichen ihrer Natur zu erkennen, ob sie sich zur Lehre eigneten oder nicht, da ja die Natur der Seele den Körper baue und ihr geeignete Werkzeuge schaffe und im Körper uns das Bild der Seele zeige, durch das ihre Anlage erkannt werden könne. Auch Sokrates suchte zum Studium der Philosophie Menschen von ansehnlicher Beschaffenheit aus, wie wir von Plato wissen, und nach dem Bericht Plutarchs hat er dem

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