Die Physiognomie des Menschen

dem Körper schlimme Magerkeit. Ovid beschreibt die Mißgunst in der Gestalt des Neiders mit folsenden Worten: „Blaß sieht er aus am Mund und mager am ganzen Körper und genießt nicht des Schlafs, gepeinigt von wachenden Sorgen.“ Übertriebene Trauer hat schon viele Leute trotz ihrer Weisheit verunstaltet. Als der Hekuba nach dem Verlust von Mann und Söhnen auch noch der Tod Polydors gemeldet wurde, soll sie wie ein Hund geheult haben. An maßloser Freude ist schon mancher gestorben. Diagoras aus Rhodus, der seine drei Söhne in Olympia an einem Tage mit dem Siege bekränzt sah, starb vor Freude in den Armen der Söhne, wie uns Gellius berichtet. Als bei Kannä das römische Heer geschlagen war, sank eine alte Frau auf die Nachricht vom Tode ihres Sohnes in tiefste Trauer; die Nachricht aber war falsch gewesen, und als kurz darauf der Jüngling aus der Schlacht zurückkehrte, starb die Alte bei dem plötzlichen Anblick des Sohnes an der Größe der unverhofften Freude. Aristoteles bestätigt in den „Physiognomonika“, daß die Seele das Aussehen des Körpers verändern kann, wie andererseits der Körper auch den Charakter. Ist die Seele traurig, zeigt der Körper den zur Traurigkeit gehörigen, ist sie froh, zeigt er den zur Freude gehörigen Ausdruck, und ein zerrütteter Körper deutet auf eine zerrüttete Seele. Salomon sagt: „Ein trauriger Geist läßt das Gebein verdorren, eine heitere Seele madıt froh.“ Eine Manie ist zwar ein seelisches Leiden; indem die Ärzte aber für den Körper sorgen, befreien sie die Seele von der Manie:; so wird durch Körperpflege die Fessel gesprengt und der Geist befreit, weil den Eigenschaften des Körpers die Kräfte und Mächte der Seele entsprechen. Und so sehr entsprechen Körper und Seele einander, daß die meisten Leiden ihren Grund in einer Störung dieses Verhältnisses haben. Niemals schuf die Natur ein Tier, das den Körper des einen und die Seele des anderen hatte: niemals wurde ein Wolf oder ein

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