Die Physiognomie des Menschen

kleinlich und genau, und zwar komme das nicht von ihrer Körpermischung, sondern hänge von ihrer jeweiligen besonderen Art ab. Lüstlinge erkenne man nicht an Wärme oder Kälte, sondern an bestimmten Zeichen ihrer Erscheinung, z. B. an dem zur Seite geneigten Kopf. Wieder andere haben nach Aristoteles „Physiognomonika“ drei Methoden der Charakterforschung, die alle zu demselben Schluß kommen. Die erste Methode hat zwei Seiten. Einmal beschreibt man die Gestalt jeder Tierart und bestimmt die ihr zukommenden Eigenschaften und Triebe. Der Löwe, die stärkste und mutigste Art, muß irgendein Merkmal haben, an dem man seine Tapferkeit und Beherztheit erkennen kann, und zwar sind das die breite Brust, die starken Schultern und großen Pranken. Hieraus schließt man: Alles, was eine breite Brust, starke Schultern und große Gliedmaßen hat, ist tapfer und beherzt. Andererseits räumt man jedem Tier neben seinem Körper eine eigene Seele ein und glaubt, daß sein Charakter ganz oder teilweise seiner Gestalt oder seinen Körperteilen entspreche, und so bei jedem Tier: z. B. sei die Gestalt des Hundes entwürdigend und Zeichen der Schamlosigkeit, das Aussehen des Schafes zahm und harmlos. Beide Betrachtungsweisen sollen von Plato stammen, nach dessen Ausspruch dem Körper eine der Stufe seiner Stofflichkeit entsprechende Seele gegeben wird. Die zweite Methode, über die Trogus":) berichtet, ist nicht sehr von der ersten verschieden. Sie schreibt nicht nur allen Tiergattungen, sondern auch den einzelnen Menschenrassen einen der Körperbeschaffenheit angemessenen Charakter zu. Ein jedes Land bilde einen besonderen Leib und besondere Leidenschaften, und wer einen solchen Leib habe, müsse auch die entsprechende Seele haben. Mit den Ländern und dem Klima seien auch die menschlichen Charaktere verschieden. Und drittens übte man sich, wie z.B. Philon aus Lakedaemon’*), in unserer Wissenschaft,

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