Geschichte der auswärtigen Politik Österreichs im 19. Jahrhundert.
A. Öſterreichs Gegenwehr und Demütigung. 31
Ein Mann, éine Perſönlichkeit von eigenartigem Reize kam nah dem Preßburger Frieden in den Vordergrund Öſterreichs. Graf PhilippStadion, ein verdienſtvoller Diplomat, wurde Miniſter des Äußern. Er zählte 43 Jahre, war alſo in der Vollkraft des Lebens und bereit, an der Aufrichtung ſeines Vaterlandes rüſtig zu arbeiten. Ein ſtolzer, ſeines Adels wohlbewußter Ariſtokrat und doch voll feinen Verſtändniſſes für das Nahen einer neuen Zeit, die aus den Völkern Mithelfer für den Diplomaten machte, während man ſie ſrüher bloß als gefügige Werkzeuge benüßgte. Graf Stadion beſaß hervorragende Bildung, einen hellen Kopf und einen friſchen Sinn. Jm Verkehre war er leutſelig; er dur<hbrach die übliche Exkluſivität und ſtellte Verbindungen her, die die Staatskanzlei den Maſſen und die Maſſen der Staatskanzlei näherrücten. Den Umgang mit ſ{hönen Frauen ſuchte Stadion gerne; fröhliche Geſell4 ſchaften verließ er bisweilen als legter. Sein Hausweſen war niht gut beſtellt; aber mochte der Privatmann Stadion es nicht zu genau nehmen, den Staatsmann erfüllte hohe Moral. Und vor allem: Graf Stadion war ein deutſcher Mann, ein treues Kind ſeines Volkes, der erſte wirklich deutſche Miniſter des Äußern in Öſterreich. Kaunig ſte>te zu tief in der franzöſiſchen Philoſophie, Thugut war ſeiner Bildung nah Franzoſe, Philipp Cobenzl ſchrieb ſeine Mez moiren franzöſiſh, Ludwig Cobenzl ſprach nur gebrochen deutſch und gefiel ſhon deshalb nicht dem Kaiſer Franz, der ſih mit Vorliebe gut wieneriſch ausdrüdte.
Graf Philipp Stadion war ein Erwecker. Von ſeiner Wirkſamkeit als Miniſter des Äußern — vom Beginne des Jahres 1806 ab datiert ein neuer kurzer Abſchnitt im Daſein Öſterreichs : eine freundliche und lichtvolle Epoche, ſoweit es ſih um die innere Entwi>lung handelt 1). Stadion hatte manchen Zug mit dem Freiherrn vom Stein gemeinſam, ohne jedoch deſſen Größe und Wucht, deſſen aufwühlende Energie und deſſen umfaſſenden Tatendrang zu erreichen. Aber wie der geniale Reich3ritter für Preußen wurde er für den Staat an der Donau der Bringer friſchen Lebens. Dabei ſtieß der Miniſter auf nicht geringe Widerſtände. Liſtige Ränkeſchmiede, böswillige Einbläſer, eitle Störenfriede hat es während all der Jahre gegeben, von denen wir bisher erzählten. Spaltungen, Parteiungen hielten die führenden Männer auseinander und flößten Feindſchaft ein, wo Eintracht von Segen geweſen wäre. Man
1) Eduard Wertheimer. Geſchichte Öſterreichs und Ungarns im erſten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts. Leipzig 1890. Zweiter Band.