Geschichte der auswärtigen Politik Österreichs im 19. Jahrhundert.
A. Öſterreichs Gegenwehr und Demütigung. 33
Franz eigentlich ſchon die deutſche Kaiſerkrone vom Haupte verloren, und Napoleon verlangte nun in aller Form Franzens Abdankung als Kaiſer von Deutſchland. Graf Philipp Stadion riet ſeinem Mo=narchen ſchon früher, freiwillig einem Amte zu entſagen, das im beſten Falle niht mehr bieten fonnte als den Antrieb zur Selbſttäuſchung. Kaiſer Franz war jedoch nicht ſo leicht zu bewegen, ſich in das Unvermeidliche zu ſchi>en und Napoleon mußte erſt mit dem Säbel raſſeln, ehe dies geſchah. Der Kaiſer der Franzoſen ſette einen feſten Termin: bis zum 10. Auguſt ſollte die Verzichtleiſtung zu ſeiner Kenntnis gelangt ſein, ſonſt würde das Schlachtenglük entſcheiden. Franz fügte ſich alſo und legte am 6. Auguſt 1806 die inhaltlos gewordene Würde nieder. Des Reiches Scheindaſein war beendet. Es verfiel nichts Reales und doch: ein Teilchen von dem verſank, was ſpäter ſo ſehr die Sehnſucht des deutſchen Volkes bildete. „Jawohl Deutſchland“, ſeuſzte allerdings bereits vorher Johannes Müller, „wüßte ich nur, wo es liegt.“ .….
‘Als der Krieg zwiſchen Frankreich und Preußen zur Wahrſcheinlichkeit wurde, bemühte man ſich in Berlin, die Gunſt des Wiener Hofes zu erlangen. Aber der Grundzug der Stadionſchen Erwägungen ging dahin, daß Öſterreich. ſolange als möglich jede Verwi>lung vermeiden ſolle, um ſich unterdeſſen zu kräftigen und für einen wohlvorbereiteten Schlag zu rüſten. Auch Napoleon warb um die Freundſchaft des Kaiſers Franz, der jedoch trot der ſchwierigen Verhältniſſe, dem Rate ſeines Miniſters folgend, die Allianzanerbietungen zurü>wies. Öſterreich wollte als neutrale Macht die Ereigniſſe ihren Lauf nehmen laſſen. Noch zweifelte zwar Franz, daß es überhaupt zu einem Kriege fommen werde, als die preußiſche Armee ſchon bei Jena und Auerſtädt Friedrichs Erbe an Ruhm verwirkt hatte. Doch das Liebeswerben in Wien hielt an. König Friedrich Wilhelm TIT. und der mit ihm verbündete Zar Alexander ließen es ſich ebenſo wie Napoleon viele Mühe koſten, in der Hofburg werktätiges Jntereſſe zu erwe>en. Einen Augenbli> mochte es allerdings ſcheinen, als würden Stadions deutſcher Sinn und ſeine Neigung für Rußland des Miniſters Entſchließungen beſtimmen, aber Erzherzog Carl, der die Schwäche der öſterreichiſchen Armee kannte, dämpfte den erwachenden Eifer. Napoleon verſtärkte nun ſeine Bemühungen. Ex hieß ſeinen Geſandten in Wien, durch großen Aufwand und Glanz zu blenden und die Geſellſchaft der Stadt an ſich zu feſſeln. Weit wichtiger war freilich, daß er Öſterreich den Austauſch von Galizien gegen Schleſien anbot. Der noh niht ganz verſchmerzte Verluſt
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