Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

Momente ‚vorhanden, um den Ausdruck als Dauerhaltung oder wenigstens gewohnheitsmäßig wiederholte Einstellung erscheinen zu lassen. Schon in der Einleitung erkannten wir, daß das Baby (/, 2) zwar Mund und Augen aufsperre, weil ihm momentan etwas Besonderes in die Augen sticht, dennoch aber fanden wir diese Haltung charakteristisch für das empfängliche Kindesalter. So dürfte auch Wilhelm Busch (XIV, 7) nicht immer mit dem zugekniffenen Auge einhergegangen sein, und doch saß er so Modell und wir ziehen daraus einen Schluß auf seinen Charakter,

So empfinden wir auch die Unzufriedenheit Grillparzers (VIII, 3) als chronische Einstellung, ebenso wie die leidenschaftlichere Liszts (IX, 2), weil die oberste Ausdrucksschicht, der diese Haltungen angehören, nicht genügend nach einem momentanen Ereignis orientiert erscheint. Nansens Resignation (XII, 4) spricht aus den Hauptsinnesöffnungen, aber auch hier sind die Spuren eines momentanen Schocks längst überwunden und der ganze Hintergrund des Ausdrucks ist zu einer verhältnismäßigen Ruhestellung zurückgekehrt. Dasselbe gilt von dem schmerzlich-edlen, halb jenseitigen Blick Verdis (VI, 6), dem idealistischen Trotz des Straßenkehrers (XVI, 3), dem aufrichtig gewinnenden Blick der Frau Montessori (IV, 8) und dem weniger aufrichtigen Baldwins (XIV, 5), von der weiblichen Maske der Martha Eggerth (X, 5). Und wenn auch die zwischen Hoffnung und Verzagen zwiespältige Miene des Schwarzen Arbeitslosen (XVI, 2) wie die negative Abgedecktheit Toms (XIV, 6) durch ein nicht andauerndes Ereignis hervorgerufen sind, so erscheinen sie doch gleichwie bei unserm Baby (/, 2) so sehr von der besonderen Art ihrer individuellen Reaktionsweise gefärbt, daß wir fühlen, ein anderer an ihrer Stelle hätte sich mimisch anders verhalten,

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