Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

(XVI, 8). Bei Wedekind (FIII, 5) erkannten wir gerade in der Ruhestellung die Gespanntheit seiner Kontakteinstellung als so überaus charakteristisch, denn überall ist die Ruhestellung eine ziemlich tief reichende Ausdrucksschicht; ist sie doch diejenige, welche die körperbaulichen Schichten unmittelbar überlagert, von denen sie, ebenso wie von den aktuellen Ausdrucksschichten, so gut als möglich abzugrenzen ist.

Wenn im übrigen auch hier noch die Spannungen nicht ganz zu beseitigen sind — ein Glück für den Ausdrucksdeuter' — wie z. B. beim Hofarzt Franz’ I. (XII, 2) der verschleierte Kontakt besonders auffällt, beim Schneider vom Steinhof (XII, 9) der ewig in Nacht versenkte Blick und Mund und selbst beim Christkind und den Engeln der Sixtina (Tafel V) das Schmollmündchen, so ist doch überall das über den ersten Eindruck und seine Wandlungen bei Gelegenheit der Ausdrucksstärke und des Formniveaus Gesagte zu beachten. Die ideale physiognomische Ruhestellung zeigt die Sixtinische Madonna selbst, was nicht wenig zu ihrer mächtigen Wirkung beiträgt.

5. Die Mehrheit der Extremstellungen

Trotz allen Vorteilen birgt die alleinige Darbietung der Ruhestellung doch auch ihre Gefahren. Der Ausdruck ist in ihr oft zu sehr abgedämpft, so daß man gar nicht vermuten möchte, welcher Ausschläge nach verschiedenen Richtungen sie doch fähig ist. Große Erfahrung und verschiedene noch zu besprechende Anzeichen mögen hier zu Hilfe kommen, besser ist es aber, wenn wir uns außerdem auch die Extremstellungen, zu denen auch die schon besprochenen des charakteristischen Ausdrucks gehören, gegenwärtig halten. So kommt es unsrer Kenntnis vom Charakter unsres Modells Mi-

chaela(I/V, 1—-3) sicherlich zustatten,daß wir von ihm drei cha_ rakteristische Bilder haben. Dem Porträt IV, 1 würden wir

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