Gesicht und Charakter : Handbuch der praktischen Charakterdeutung : mit zahlreichen Kunstdrucktafeln, Zeichnungen und Bildtabellen

den Wandlungen des Charakters in den verschiedenen Lebensaltern entspricht.

II. Das zur Deutung vorliegende Material

Nicht genug an den Schwierigkeiten, welche das Sachgebiet der Ausdrucksphysiognomik selbst der Charakterdeutung entgegensetzt, sie werden noch vermehrt durch solche der Form und Darstellung, in denen uns die zu untersuchende Physiognomie gegeben ist. Wir können die Physiognomie einer Person in ihrer lebenden Wirklichkeit studieren oder wir sind auf Abbildungen angewiesen, meist auf Photographien, Zeichnungen oder Gemälde.

1. Die lebende Physiognomie

Das Studium am lebenden Menschen bietet, abgesehen davon, daß es unser Ziel ist, unsre Erfahrung auch im Leben anzuwenden, zu erproben und zu erweitern, manche Vorteile vor dem Studium am dargestellten Objekt. Wir sehen die Mimik in der Bewegung in viel mehr Phasen, als sie das Bild uns bieten kann, wir spielen selbst auf die fruchtbaren Momente des Ausdrucks ein, wir sehen die Person in die Situation des Orts, der Zeit und der Handlung eingereiht; durch alle diese Momente wird der Deutungsspielraum eingeengt, abgesehen davon, um wie viel mehr unsre Einfühlung und Resonanz in der natürlichen Lebenssituation angeregt wird. Einiges hierüber noch im Schlußwort.

Von wesentlichem Wert ist es, eine Person öfter und durch längere Zeit zu beobachten; bei flüchtigem Kontakt läuft man zu sehr Gefahr, auf den ersten Eindruck mit bloßer Resonanz anzusprechen; die richtige Analyse durchzuführen, dazu gehört schon ein Stück Übung und Geistesgegenwart. Geschieht es im Gespräch, so ist man gezwungen, seine Aufmerksamkeit zu teilen, wenn nicht, so muß die Beobachtung

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