Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

Ein paar Tage zuvor hatte der Sultan den engliſchen Botſchafter Sir Elliot in einer PrivatAudienz empfangen, um ein Schreiben der Königin Victoria entgegenzunehmen, welches die Geburt einer Tochter des Herzogs von Edinburg, ihres Sohnes, bekannt gab. Der-Empfang war ein ſehr herzlicher ‘und verſicherte der Sultan dem Botſchafter bei dieſem Anlaſſe, daß alle Reformen pünktlih und raſh dur<hgeführt werden ſollen.

Das Reform-Jrade gab genügenden Anlaß zur eingehenden Beſprehung in allen Orten. Jm Allgemeinen wurde öſterreichiſcherſeits betont, daß der neueſte Reform-Ferman des Sultans die Reform-Action der Nordmächte nicht aufhalte. Wohl werde bei dieſer lebteren von einer Einmiſchung in die inneren Fragen der Türkei niht die Rede ſein; es würden ſi< die Mächte ſ{werli< ein Urtheil darüber anmaßen, ob die Pforte in ihren auf das ganze Reih bezüglichen Maßregeln das Maß des Richtigen und Räthlichen ſih vorgehalten habe, ob dieſen „platoniſchen Conſtitutionaliſirungs-Verſuchen“ des geſammten Staatsweſens die Gewähr der Durchführbarkeit innewohne, ob eine Umgeſtaltung des Staates auf vielfah ſo ſ{<wankender Grundlage denkbar ſei; alles das habe die Pforte mit fi< ſelbſt, ihren eigenen Futereſſen, ihren eigenen Tendenzen auszumachen ; — allein das, was die Mächte anſprechen können und allem Anſcheine nah anſprechen werden, iſt das Recht der Prüfung, ob die Maßregeln geeignet ſind, den geſtörten Frieden wieder herzuſtellen und ſo die Möglichkeiten und Folgen neuer Friedensſtörung auszuſcließen, ferner auh das Recht, mit neuen Vorſchlägen hervorzutreten, wenn die türtiſchen Projecte jener Prüfung nicht Stand halten ſollten. Man meinte, wie das iſolirte Eingreifen der Pforte militäriſ<h genommen bei Unterwerfung dex aufſtändiſhen Bevölkerung mißlungen iſt, ſo müſſe ihr auh politiſ<h betrachtet, ebenfalls die Beruhigung derſelben mißlingen. Fn dem einen wie in dem anderen Falle ſei ſie auf die Unterſtüßbung Europas angewieſen und da ihr die militäriſche Unterſtüßung niht gewährt werden könne, ſo würde ſie ſi< umſomehr in die politiſhe Mitwirkung der Mächte finden müſſen.

Ju Berlin meinte man, es ſei eher noh den Schuldverſchreibungen der Pforte zu vertrauen, als ihren politiſhen Verheißungen, die immer umfaſſender würden, je mehr der Staat aus den Fugen gehe und jede Reform aus innerer Kraft unmöglicher werde.

Bei allen Beſprehungen und Berechnungen, welche ſi<h an die. türkiſche Verwickelung knüpften, war im Anfange nur von dem Sultan und ſeiuer Regierung, oder von ſeinen <hriſtlihen Unterthanen, von den europäiſhen Mächten oder der öffentlihen Meinung Europas die Rede, während man der mohammedaniſhen Bevölkerung der

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Türkei nur ſo nebenher gedachte. Auf einmal trat aber dieſe lettere, und zwar in ſehr bedenklicher Weiſe in den Vordergrund. Man hätte ſi ſehr getäuſcht, wenn man glaubte, daß der Fanatismus im Fslam bereits ausgeſtorben ſei; dieſer ſ{hlummert nur ſo lange, als die Jutereſſen der herrſchenden Race und Religion niht ernſtlich bedroht ſind; tritt aber dieſer Augenbli> ein, wie er bei wirkliher Durchführung der verſprochenen Reformen unzweifelhäft eintreten mußte, dann erwacht auh die alte religiöſe Wuth auf's Neue.

So entde>te man in Conſtantinopel eine Verſchwörung fanatiſher Muſelmanen gegen die Shapkalus (wörtli< Hüteträger, bezeihnender Ausdru> für Ausländer). Die Verſchwörer, zumeiſt Geiſtliche und Offiziere, thaten ſi< zuſammen, um den „Shapkalus“, denen die fanatiſhen Anhänger des Fslams den zunehmenden Verfall des türfiſhen Staatsweſens zuſchreiben, irgend einen blutigen Streich zu ſpielen. Welcher Art derſelbe ſein ſollte und insbeſondere gegen welche Perſönlichkeiten er gemünzt war, wußte Niemand anzugeben, da die türkiſche Polizei, wel<he übrigens ſämmtliche vierunddreißig Verſhwörer hinter Schloß und Riegel hielt, die ganze Geſchichte zu vertuſchen ſih beſtrebte.

Dieſer Vorfall gab in der Bevölkerung zu allerlei Spukgeſchihthen Anlaß. So verbreitete ſih plöbli<h das Gerücht, es ſei der Ex-Großvezier Hu ſſein Avni Paſcha wegen Theilnahme an einem Complote verhaftet worden. Dasſelbe war jedo<h ganz unbegründet und verdankte ſeine Entſtehung folgendem Umſtande: Am 13.Dec. Abends bra<h im Konak (Haus) des genannten Paſchas eine Feuersbrunſt aus, die denſelben gänzlich zerſtörte. Als am nächſten Tage Arbeiter den Schutt hinwegräumten, fanden ſie eine reihli<e Anzahl Waffen. Sofort erzählte man in der Stadt, daß die Regierung bei dem Ex-Großvezier ein Waffendepot entde>t habe und daß derſelbe in die lebte Verſchwörung mit verflochten ſei. Die vorgefundenen Waffen gehörten aber einfa< zu einer reihen Waffenſammlung mit Exemplaren aus allen Ländern und den verſchiedenen Zeitepochen.

Wie geſagt, die Stimmung der türkiſchen Bevölkerung wurde immer aufgeregter ; die Softas (Studenten der türkiſhen Hochſhulen) wurden alle Augenbli>e handgemein mit den Wachen, es erfüllten dumpfe Gerüchte über beſtehende Complote und ſtattfindende maſſenhafte Verhaftungen die Stadt; ja man raunte ſi< allerlei geheimnißvolle Details über Vorgänge in die Ohren, deren Schauplatz der Palaſt des Sultans ſein ſollte; furz, es wurde die Stimmung in Conſtantinopel als eine ſolche geſchildert, wie ſie derartigen Kataſtrophen vorherzugehen pflegt. Dort wird eben jede neue Steuer, . welche die Moslims in Folge des Krieges und der ſonſtigen Finanznoth zahlen müſſen, den Chriſten zur Laſt gelegt, jede Er-