Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

[eihterung, die dieſen gewährt wird — und darauf kommen doh ſ<ließli< alle „Reformen“ hinaus — verletzt die alten Vorurtheile und Privilegien der bisher herrſhenden Race.

Mohammedaniſche Truppen zur Unterdrü>kung von Unruhen, -wel<he dur<h Mohammedaner hervorgerufen werden, anzuwenden, iſt kaum möglich, und zu dem einzigen wirkſamen Mittel, nämlich zur ſofortigen Entwaffnung aller nicht zum Heere gehörigèn Mohammedaner, wird ſich die Regierung wohl nie entſchließen. Viel eher iſ das Gegentheil zu befürchten, daß nämlich das ganze mohammedaniſhe Element in der Verzweiflung eines hinſiehenden Fanatismus aufgerufen werde. Selbſt wenn es mögli<h wäre, den Sultan und die Miniſter zu ernſthafter Reformthätigkeit anzuſpornen, kann die mohammedaniſhe Bevölkerung fein Jrade, ſondern nur eine ſtarke Macht zum Gehorſam zwingen, und dieſe Macht - fehlte in jenen Tagen ſelbſt gegenüber den aufſtändiſchen Chriſten, um wie viel mehr, wenn es ſi< um ‘die Niederhaltung von fanatiſhen Anhängern des Jslam gehandelt haben würde.

Kein geringes Aufſehen machte es in einem beſchränkten Kreiſe Conſtantinopels, als ein angeblihes Schreiben Muſtapha Fazyl Paſchas (Bruder des Khedive von Egypten) circulirte, das er gleihſam als politiſches Teſtament, kurz vor ſeinem Ableben, an den Sultan gelangen ließ.

Muſtapha war bereits dur lange Monate ſehr krank, und obſhon man dur< ein paar Wochen von einem Beſſerwerden \ſpra<h, ſo war do< Niemand überraſcht, einmal zu vernehmen, daß er während dex Nacht geſtorben ſei. Seine Umgebung hielt eine Art Ohnmacht für den Tod und machte deshalb Lärm, worauf allſogleih die zahlreihen Bewohnerinnen ſeines Harems jenes wilde, ſ{merzli<he Geheul erhoben, mit wel<hem die türfiſhen Frauen den Tod ihres Gatten beflagen. Durch das ſchrille Geſchrei erwe>t, öffnete Muſtapha Fazyl Paſcha die Augen und auf ſeine Fragen um die Urſache desſelben, ſahen ſih die Diener genöthigt, ihm die Wahrheit zu ſagen. Jhr Gebieter war darüber gar nicht erzürnt, f\ondern bemerkte nur einfa<h, daß ſie zu eilig geweſen ſeien, begehrte etwas Suppe und verſank wieder in einen tiefen Schlaf. Aber die Todtenklagen waren nur um wenig verfrüht geweſen — blos zwei Stunden ſpäter ertönten dieſelben Todtenklagen der Weiber, Töchter und Sklavinnen, diesmal aber niht mehr um einen Lebenden.

Nah dem ganzen Weſen“ und Charakter Muſtapha Fazyl Paſchas, des einſtigen

Hauptes der jungtürkiſhen Partei, zu urtheilen, fonnte immerhin angenommen werden, daß er ſi< noch in den letzten Stunden ſeines qualvollen Daſeins zu einèm ſo gewagten Schritte veranlaßt fand. Eitelkeit, und zwar in ungewöhnlihem Maße, hatte von * jeher 0 manchen Schritt in ſeiner ziemli< bewegten Lebensbahn beſtimmt ; unwahrſcheinlih war es daher niht, daß er no< in ſeinem Todeskampfe auf ein kleinwenig Knalleffect ſann und dieſen am leichteſten dur< das na<hfolgende an den Sultan gerihtete Schreiben zu erzielen vermeinte. Das Schreiben lautete:

„Großmächtiger Sultan, Sohn des Propheten!

Die Unterthanen Eurer Majeſtät, ohne Unterſchied des Religionsbekenntniſſes, theilen \ſi< in zwei Kategorien. Jn die erſte gehören die Unterdrü>er, in die zweite die Unterdrü>kten. Den Erſteren dient die unbeſchränkte Macht zu den größten Mißbräuchen. Die Zweiten unterliegen im geſeßlihen Sinne dem Dru>e in Folge ihrer Beziehungen zu ihren Herren und Gewalthabern.

Jn Hinbli> auf die moraliſche Dhnmacht der türkiſhen und <riſtli<hen Bevölkerung, deren gere<te Klagen ſelten an die Stufen des Thrones Eurer Majeſtät gelangen, fühle ih mich verpflichtet, mi<h im Namen Fhrer Unterthanen an Eure Majeſtät zu wenden.

Die Ernährerin des Menſhen — auh in materieller Beziehung — iſ} die Freiheit. Wo dieſe fehlt, dort iſt au< fein Geſet; und wo das Geſetz fehlt, dort giebt es auh kein Brot. Von Tag zu Tág verlieren wir immer mehr an Achtung vor den Augen der fremden Mächte. Unſere Lebenskräfte ſchwinden auf eine erſchre>lihe Art. England i} niht mehr das für uns, was es noh vor zwölf Fahren war. Oeſterreich wird, ſeit ſeiner Trennung von Deutſchland, immer mehr eine Oſtmacht, und ſtrebt nah Sympathien unter den türkiſ<hen Slaven. Jn ganz Europa kehrt ſi<h die öffentlihe Meinung, die im Jahre 1855 ſi< uns ſo theilnahms8voll erwies, jezt gegen uns. Die maßgebenden politiſchen Elemente in Frankrei<h, England und Ftalien wiederholen unaufhörlich, daß die türfkiſhe Regierung unfähig ſei zu irgend wel<her Art von Reformen.

Sie behaupten, die Türkei müſſe zu Grunde gehen, man müſſe ſ<ließli< dieſelbe ihrem eigenen Schicfſale überlaſſen und dem Herannahen der Kataſtrophe nicht entgegenwirken. Von Eurer Majeſtät hängt es nun allein ab, alle dieſe Anſchauungen dur< Thaten. zu Schanden, ſich zum Retter und Wiederherſteller Fhres Reiches zu machen !“

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