Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

vorher als einziges Reſultat ſeiner Fahrt nach dem Bosporus ſo feierli<h verkündet hatte.

Der Zwe dieſer Conferenz in Franzensbad beſtand in ni<ts Geringerem, als in der Aufſtellung einer vollſtändigen „Ordre de Bataille“ (Schlachtordnung) der ſerbiſ<hen und rumäniſchen Streitkräfte. Bei dieſer Gelegenheit conſtatirte der Sprecher der Serben, daß ſein Fürſt bei der gegenwärtigen Organiſation ſeines Heeres über 70.000 Mann ſhlagfertiger Truppen verfüge, die in kurzer Zeit auf 90.000 Mann kampfbereiter Soldaten erhöht werden könnten. Es ſeien hiervon bei 45.000 Mann mit Schußwaffen neueſter Conſtruction verſehen und auh alle anderen Ausrüſtung8gegenſtände ſeien bereits für dieſe Zahl ausreihend vorhanden. Fürſt Karl konnte wieder ſeinerſeits angeben, daß er binnen hier und drei Fahren über genau hunderttauſend Mann kampffertiger und wohlgeſhulter Truppen verfüge, #o daß für den Fall einer Verbündung der beiden Staaten an der unteren Donau und eines weiteren Bündniſſes mit den Montenegrinern an zweimalhunderttauſend Mann leicht marſchfertig zu machen und in die Schlachtlinie einzurü>en fähig wären.

Die Ergebniſſe dieſer Franzensbader Berathung wurden dem jungen Serbenfürſten, der gerade auf ſeiner großen europäiſ<hen Rundreiſe in Paris angelangt war, dorthin nachgeſandt, und er unterließ niht, an geeigneter Stelle damit gehörig anzuklingen. Bei dem regierenden Frankreih hatte dies freili< wenig Erfolg, denn dasſelbe hielt mit ſeltener Strenggläubigkeit an -der ſogenannten „weſtmäctlihen“ Orient-Politik feſt und betrachtete es als ſeine Hauptaufgabe, die Türkei ungeachtet ihrer ſelbſt zu ſtüßen und aufrecht zu erhalten, im Gegenſaße zu dem, neuerdings von Oeſterrei < und Rußland eingeſhlagenen Wege, der dahin führt, das nict Lebensfähige im türkiſchen Reiche ohne Bedauern ſeinem Verfalle und dem Schickſale zu überlaſſen. «Fn Paris verkehrte aber Fürſt Milan auh mit dem nitofficiellen Frankreih, und zwar mit Thiers und Gambetta, und in dieſen franzöſiſhen Regionen konnte er einen totalen Umſchwung conſtatiren, denn Alles daſelbſt war voll Hoffuung für die aufſtrebenden Nationalitäten an der unteren Donau, und wie früher der Wettſtreit der Diplomatie Europas ſi< um den Einfluß am Goldenen Horn *) concentrirte, ſo ſchien für jeßt und für die nächſte Zukunft die Frage dahin zu lauten, wer denn wohl unter den Staatsmännern der Schußmächte ſih am freundſchaftlihſten zu den Souverainſtaaten des Sultans

*) Schmale Bucht des Bosporus, die den Hafen von Conſtantinopel bildet. 2

12

zu ſtellen vermöge, und ſo war das Terrain, das man ſi< am meiſten ſtreitig machte, jenes der Höfe von Belgrad und Bukareſt.

Graf Andraſſ\y, der öſterreichiſh-ungariſche Miniſter des Auswärtigen, faßte dieſe Sache in ähnlicher Weiſe auf, dafür zeugte ſeine unerwartete Höflichkeit und ſein Entgegenkommen für Fürſt Milan bei einem Zuſammentreffen in Peſt. Bekannt iſ, daß glei<h damals, als Graf Andraſſy ſeine plößlihe Frontveränderung in der orientaliſchen Frage, bald nah der DreiKaiſer-Begegnung in Berlin, in Scene ſette, von ſeinen Freunden das Stichwort ausgegeben wurde : es handle ſih fortan für Deſterreich darum, in jenen aufſtrebenden Grenzſtaaten an der unteren Donau dem ruſſiſchen Einfluß „friedliche Concurrenz“ zu machen. Es wurde dies auch verſuht, obwohl der Weg hierzu gerade für einen öſterreichiſch -ungariſhen Staatsmann enorme Schwierigkeiten bot.

Wenn man nämli<, im Verfolge jener Concurrenz, in Belgrad die Träume der großſerbiſhen Nationalpartei ermunterte, ſo lief man andererſeits Gefahr, die eigenen ſerbiſhen Unterthanen in Ungarn den Umtriebeu gewiſſermaßen abſichtli<h in die Arme zu treiben, und denno< konnte man dieſen Strebungen niht offen und nachdrü>li< entgegentreten, weil es eben Rußland geweſen war, welches dieſe Projecte bisher gebilligt und begünſtigt hatte und man doh gerade den ruſſiſhen Einfluß zu paralyſiren ſi< bemühte.

Kaum anderen / Hinderniſſen begegnete man in Rumänien; man wollte dasſelbe unmöglich ſtaatli<h unabhängig und groß wiſſen, denn es reihte in dieſem Falle die natürlihe Schwerkraft hin, um jene drei Millionen, Siebenbürgen bewohenden Rumänen ſofort von der ſtammesverwandten ſelbſtſtändig gewordenen Nation angezogen werden zu laſſen. Und ſo konnte Oeſterreih-Ungarn die politiſ<e Neugeſtaltung der beiden, nunmehr verbündeten Cabinete von Belgrad und Bukareſt weder wünſchen noh befördern, wennglei<h es in ſeinem eigenſten Fntereſſe lag und um ſeinen Einfluß wenigſtens maßgebend zu erhalten, ſie an ſi< dur< anderweitige Zugeſtändniſſe zu feſſeln. i

Und hierzu konnten ganz allein die ökon omiſchen Verhältniſſe die Hand bieten, die man auch in dieſem Sinne zu benüßen ſuchte, deshalb mit Rumänien — ohne ſi< weiter um das Zetergeſchrei der Pforte zu kümmern, welche ausdrü>li<h das Recht der Vertragsſchließung für ſi, als ausſließli< ihrer Oberhoheit gebührend, in Anſpru<h nahm — Poſt- und EiſenhbahnuVerträge abſchloß.

Aus dieſem Grunde behandelte man bei den Conventionen bezüglih des Eiſernen Thores Rumänien und Serbien als gleihbere<htigte Con-