Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

ſammlungen ziemli< reſultatlos verlaufen waren, ſollte die von Rußland ſo ſehnlih gewünſchte Fortſetzung nirgend wieder erhalten. Schon in Brüſſel fam man den rufſiſhen Vorſchlägen eher mit Mißtrauen, als mit wohlwollenden philantropiſchen Gefühlen entgegen, und es darf niht verhehlt werden, daß gerade, weil das Deutſche Reich bereitwilligſt auf eine Vorlage einging, welche zumeiſt nur auf eine theoretiſche Feſtſtellung der in den Fahren 1866 und 1870 befolgten preußiſchen Krieg8praxis hinaus[lief, man von anderer Seite um ſo vorſichtiger in der Annahme von Vorſchlägen war, die allerdings der Humanität möglichſt Rechnung trugen, dabei aber eine Reihe von ſtaatsund völkerrehtli<hen Beſtimmungen enthielten, welche die Action eines mächtigen Angreifers weſentlich erleichterten, dafür aber dem zur Vertheidigung des eigenen Bodens genöthigten \{<wäceren Theile einen Theil ſeiner Widerſtandskraft lahmlegten und ihn no< vox dem eventuellen Friedens\{luſſe in den von dem Feinde au<h mit unzureichenden Streitkräften occupirten Landestheilen depoſſedirten.

Der Umſtand, daß das Deutſche Reich ſofort dur die Reorganiſation des Landſturmes ſeiner geſammten irregulären Wehrkraft, entſprechend den in Brüſſel aufgeſtellten Satzungen, die Rechte einer regulären Armee verlieh, hat andere Staaten weniger zur Nachahmung veranlaßt, als vielmehr ihnen Bedenken über die Zwe>kmäßigkeit und den allſeitigen Nuten einer derartigen Humaniſirung der modernen Kriegsführung eingeflößt. Der regelrete, gebrau<h8mäßige, dur< humane und völkerrechtliche Beſchränkungen verclauſulirte Krieg, der ſih wie eine Schachpartie abſpielt, wird immer die ſtärkere, - beſſer gerüſtele und geführte, \<{<lagfertige Macht ungemein begünſtigen, und es käme, wenn einmal ſämmtliche Beſtimmungen des Brüſſeler Congreſſes allgemein bindende Kraft erlangt hätten, nur darauf an, die gegenſeitigen Wehrverhältniſſe zu conſtatiren, damit der Schwächere die Friedensbedingungen des überlegenen Gegners annehme, ehe er überhaupt die Leiden und Verluſte eines von vornherein für ihn verlorenen Feldzuges durchmacht. Es wäre dies allerdings das beſte Ausfunftsmittel, um den ewigen Frieden herzuſtellen, wenn nur’ die Rechtsfrage immer mit der Machtfrage zuſammenfiele.

Dafür bieten aber die Brüſſeler Punctationen noch keinerlei Bürgſchaft, und alle Humanität, mit welcher ein Unrecht begangen wird, vermag dasſelbe niht in ein allgemein anerkanntes Recht umzuwandeln.

England trat in der entſchiedenſten Weiſe als Gegner der ruſſiſ<en Propoſitionen auf. Die Proteſtnote Lord Derby's gegen den Petershurger Congreß war wenigſtens geeignet, den Erinnerungen an die alte Größe Englands

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wieder einen Anhaltspunkt zu bieten. Der Geiſt des Militarismus war allmächtig auf dem Continente; fein Staat auf dem Feſtlande konnte fi den Bedingungen des modernen Wehrſyſtems entziehen. Selbſt die halsſtarrige Oppoſition mußte ſih der allgemeinen Nothwendigkeit fügen. So tyranniſh herrſchte dieſer Geiſt, daß aller auf bewährten liberalen Traditionen fußender Widerſpru<h vernichtet wurde. Da erhob England ſeine Stimme und lehnte ſi< gegen eine Zeitrihtung auf, welhe von ſo großen Mächten der Welt, wie Deutſchland und Rußland, getragen wurde. Der freiheitlihe Gedanke fand einen Dolmetſch an Lord Derby. Britanniens „Nein“ tönte hinüber von der Themſe zur Newa. Zum erſtenmale ſeit längerer Zeit hatte England wieder den Muth, ſeine Sonderſtellung dur< einen Widerſpruch, dur< ein Veto zu manifeſtiren.

Die Brüſſeler Conferenzen hatten den Zwe, ein Kriegsrecht zu ſchaffen; ſie waren durch perſönliche Anregung des Kaiſers Alexander in's Leben gerufen worden; dur< Beſtimmungen von völkerrechtliher Kraft ſollte die Kriegführung vor barbariſchen Ausſchreitungen geſhüßt werden. Das Mißtrauen, das man nun den Brüſſeler Conferenzen entgegenhrachte, fand ſeine Rechtfertigung in den Reſultaten der Berathungen. Das Recht des Siegers wurde wohl geſichert, den Beſiegten aber wurde jedes Recht genommen. Die Brüſſeler Vereinbarungen ſollten dem Petersburger Congreß als Baſis ſeiner Berathungen dienen. Lord Derby brach den Stah über die Brüſſeler Conferenzen ; ſie haben ergeben, daß das Jutereſſe der Angreifer und der Angegriffenen unvereinbar iſt, daß die von der Conferenz aufgeſtellten Kriegsregeln gerade dann, wenn ſie ſi<h bewähren ſollen, niht aufre<t erhalten werden können. England lehnt die Theilnahme an dem Congreſſe ab, kann ſih einem Uebereinkommen nicht anſchließen, welches die Angriffskriege erleihtern und den patri otiſhen Widerſtand der Angegriffenen hemmen fönnte.

Das war der JFuhalt der Depeſche, welche Lord Loftus zur Kenntniß des St. Petersburger Cabinets gebracht hatte, und der Czar war einigermaßen überraſcht, als er hörte, wie die engliſche Regierung ſeine Projecte beurtheilte. Daß dabei die eigenartigen engliſ<hen Verhältniſſe niht ohne Einfluß waren, iſt ſelbſtverſtändlich. England hatte eine kleine ſtehende Armee, man fand das continentale Wehrſyſtem unverträglih mit der Freiheit und der Prosperität des Landes. Man ſtaunte in England über die großartigen militäriſchen Leiſtungen des Continents, man gab zu, daß England, was die Entfaltung kriegeriſ<her Macht betrifft, weit im Rückſtande ſei, aber daun pries man ſi< glü>li<, daß England den militäriſchen Fortſchritt niht mitzumachen brauchte.