Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

Staaten. eine Vereinbarung zu Stande gekommen, welche der verſte>ten Feindſeligkeit beider Cabinete aus Anlaß der centraliſtiſ<hen Frage, wenigſtens für die nächſte Zukunft ein beſtimmtes Ziel ſeßte.

Dieſe Verſtändigung“ war auf die directe Jnitiative des Kaiſers von Rußland zurü>zuführen, und ſein Botſchafter in London, Graf Shuwa[off, ſchien ihm dabei als vortreffliher Dolmetſh gedient zu haben. Es handelte ſi< indeſſen diesmal niht um die Abſte>ung einer Art neutraler Zone zwiſchen dem aſiatiſhen Ländérbeſib beider mächtigen Staaten, wohl aber um eine genaue Feſtſtellung der Richtung, in welcher ſih fortan der Export beider concurrirender Staaten auf die inneraſiatiſhen Märkte zu ergießen habe, und ſo konnte denn ohne beſondere Schwierigfeit die Beſtimmung derjenigen Länder, welche beide Staaten ſi<h als Abſatzmärkte ihrer Fnduſtrie- und Handelsproducte vorbehalten, zwiſchen Lord Derb y — dein Futerventions-Politiker und Graf Schuwaloff vereinbart werden.

«Fndeß datirte dieſe Vereinbarung noh vor jenen Tagen, in welchen der engliſche Staatsſecretär des Aeußeren mit ſeinem Mediationsvorſchlage in Wien und im Quirinal zu Rom debutixte. Es iſt richtig, daß die Spannung vorher zwiſchen London und St. Petersburg -auf einen ſehr“ bedenflichen Grad geſtiegen war, und es gab niht wenig Politiker, welche einen bewaffneten Zuſammenſtoß Rußlands mit England aus Anlaß der central-aſitatiſhen Dinge als eine näher liegende Möglichkeit erachteten, wie etwa einen Krieg zwiſchen Frankreich und Deutſchland, dem man doh gewiß ſhon nahe genug geſtanden. j

Dieſe Gefahr ſchien nun überwunden und von dieſem Standpunkte aus hätte man Unrecht gethan, in dem Artikel des ruſſiſhen Fournals, welcher ein Zuſammengehen Rußlands mit England als das Programm der nächſten diplomatiſchen Zukunft feierte, eine beunruhigende Kunde zu erbli>en; allein das Blatt ging weiter, indem es das kühne Wort ausſprah: die Drei-KaiſerPolitik ſei geſprengt und das engliſch-ruſſiſche Bündniß ſolle für Europa an deſſen Stelle treten. Eine Sprengung des Drei-Kaiſer-Bündniſſes aber war einer directen Bedrohung Deutſchlands gleihzuachten und eine Bedrohung Deutſchlands wieder iwar eine niht mißzuverkennende Gefährdung des europäiſchen Friedens. Denn die Lage Deutſchlands war von der Geſtaltung der Dinge in Europa einmal ſo gegeben, daß jede Bedrohung dieſes Staates auh den Friedenszuſtand des Continents als ſehr fragwürdig erſcheinen ließ.

Die Angſt des Geldmarktes, die ſi< in einem Fallen aller Curſe ausdrü>te, zeigte zur Genüge,

daß man an dieſem Weltbaroineter die eigenthümlihe Situation wohl erkannt hatte. Und ſo unbere<henbar au< ſonſt oft die Logik der Börſe erſcheinen mochte, hier ließ ſi< nihts gegen dieſelbe einwenden, wenn die Borausſeßung richtig war, auf welcher ſi die politiſche Schlußfolgerung des Geldmarktes auferbaute. Aber gerade dieſe Borausſeßung war an allen E>en und Enden niht ſtihhältig und deshalb durfte man annehmen, daß die journaliſtiſhe Alarmrakete von der Sprengung des Drei-Kaiſer-Bündniſſes nah kurzer Zeit wirkungsſos in der politiſchen Welt verpuffen würde. Bei Lebzeiten des Czaren Alexander des Zweiten war eine Lo>kerung dieſes Einverſtändniſſes überhaupt nicht, geſchweige denn eine Auflöſung desſelben ohne Weiteres in den Bereich des Wahrſcheinlihen zu rü>en.

Zu den verſchiedenſten Malen, und erſt neuerdings wieder, hatte Kaiſer Alexander in eclatanter Weiſe zu bethätigen Gelegenheit gehabt, wie ſehr ihm eine friedlihe Entwi>elung der Dinge Europas am Herzen liege; ſeine Annäherung an England, die Mühe, die er ih gegeben, die dort gegen Rußland und ſeine orientaliſche Politik vorherrſchenden Antipathien in ihr Gegentheil zu verkehren, zeigten deutlih, wie ſehr ihm gerade ein friedliches Einvernehmen mit allen Mächten am Herzen lag, zu denen Rußland in directer Beziehung ſtand. Und ſollte derſelbe Czar Alexander der Zweite plößlih die unter ſeiner eifrigen Mitwirkung entſtandene Drei-Kaiſer-Verſtändigung verwerfen, um es zu verſuchen, mit England gemeinſam eine Art Dictatur-Allianz über den Continent Europas und vielleicht au<h den Aſiens auszuüben ? Er ſollte die Cabinete von Wien und Berlin beiſeite ſeen, als hätte er nie im engſten Einvernehmen mit ihnen geſtanden, und alles das dem Lord Derby zuliebe oder gar im Intereſſe der franzöſiſchen Revanche - Politiker ? Das wäre ein politiſcher Carneval der tollſten Sorte geweſen und kein ernſter Mann fonnte dieſe Ausgeburt des ruſſiſhen Blattes au< nur minutenlang für baaren Ernſt nehmen.

Freilich ſoll damit nicht geſagt ſein, daß die Auseinanderſeßzung von jener Seite einem Blitz ohne gewitterſhwangere Atmoſphäre zu vergleihen war. Entbehrte ſie auch der thatſählihen Anhalt8punfte, ſo war ſie darum niht minder als das Symptom einer mächtigen Geiſtesſtörung im politiſchen Rußland zu betrachten, die darum, weil ſie in den zur Zeit regierenden Kreiſen niht getheilt wurde, feineswegs als niht vorhanden angeſehen werden durfte. Fm Gegentheil, es waren ſehr bemerken8weiſe Kreiſe, deren Hoffnungen und Wünſche das ruſſiſhe Fournal widerſpiegelte, ja, deren Endziele es vielleicht in bewußter oder unbewußter Fnudiscretion allzu offenherzig ausplauderte. Daß dieſe Kreiſe einmal maßgebend werden