Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten
Zadeh ſprach ſodann von dex finanziellen Lage und tadelte die Regierung, welche gar nichts zu deren Verbeſſerung veranlaſſe, „Weit entfernt hiervon,“ ſagte er, „fahren die Miniſter und die anderen höheren Beamten fort, ihre hohen Gehalte regelmäßig mit jedem Monatsſ<luß in Gold zu beziehen, während man hei den niederen Beamten und der Armee bereits ſeit mehr als zehn Monaten damit im Rückfſtande iſt. Niemand will Opfer bringen,“ \{<loß Yenicheherli ſeine Rede, „und obwohl es in Conſtantinopel genug reiche Mohammedaner giebt, die im Staatsdienſte oder aus dem Staatsſchaße unermeßlihe Reichthümer angehäuft haben, findet ſich. kein einziger Patriot, der bereit wäre, einen Theil ſeines Vermögens „auf den Altar des Vaterlandes niederzulegen. Man laſſe es ſi< damit genug ſein, einige tauſend elender Piaſter zu Kriegszwe>en beizuſteuern „oder ein oder zwei elende zu jedem Dienſte unfähige Schindmähren dem Seraskierat zu überſenden, und dies nur zu dem alleinigen Zwee, um in den Fournalen von ſi< ſprehen zu machen.“ Dieſe Rede machte einen tiefen Eindru> auf die Zuhörer. Mehrere andere Deputirte ergriffen gleihfalls das Wort, um den Vor‘redner zu unterſtüßen, als der Präſident in rauher Weiſe die Verhandlung damit \<loß, daß er die Angelegenheit an die Sectionen verwies. ;
Die Lage war eine ſehr ſ{<le<te und die Ausſicht eine ziemli< düſtere, als die Meldung von der Einnahme von Suchum-Kaleh eintraf. Dieſe gute Nachricht änderte mit einem Male die ganze Situation; die Türken faßten wieder Muth und das Miniſterium fühlte ſi erneuert etwas ſicherer. i
__ Doch nicht lange hielt dieſe zufriedene Stimmung des Volkes in Stambul an.
Die Naricht von dem Falle von Ardahan hatte die Bevölkerung Conſtantinopels in außerordentliche Beſtürzung verſetzt; intürkiſchen Kreiſen namentli<h machte ſi< ſhon ſeit wenigen Tagen eine ungewöhnlihe Aufregung bemerkbar; man fragte mit Ungeſtüm nach den Details dieſer Kataſtrophe, weil es eben unbegreifli<h war, wie eine Garniſon von 12 bis 15 Bataillonen, der ein Artilleriepark von 90 Geſchützen (worunter 20 Krupp’ſhe Kanonen) zur Verfügung ſtand, und welche einen Proviantvorrath für aht Monate beſaß, na< einigen Kämpfen die Feſtung aufgeben und das dort reihli< aufgehäufte Material dem Feinde überlaſſen konnte. Alle Welt flagte daher. den unglü>ſeligen Commandanten dieſer Feſtung an, die Einen der Unfähigkeit, die Anderen der Feigheit und wieder Andere des Verrathes. Nach der Anſiht der maßgebenden Kreiſe waren jedo< die zwei leßteren Beſchuldigungen ungerehtfertigt und nur die erſtere blieb aufrecht. Die Unfähigkeit des größten Theiles der
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türkiſhen Offiziere war notoriſh und Huſſein Sabri Paſcha, der Commandant von Ardahan, ſchien niht das Zeug zu beſißen, um als rühmlihe Ausnahme unter ſeinen Collegen hervorzuragen. Huſſein hatte ebenſowie die meiſten der türkiſchen Offiziere, welche ſi einer ausgiebigen Gönnerſchaft erfreuten, ſeine militäriſchen Studien im Harem abſolvirt, und wurde zum General ernannt, ohne je Soldat geweſen zu ſein. Es iſt dies überhaupt einer der Krebsſhäden der türkfiſhen Militär- und CivilVerwaltung, daß ſi< jeder Osmanli zu Allem befähigt glaubt, und ſo ſehen wir heute Capitaine und Commandanten in der türkiſchen Kriegsmarine, denen jede Kenntniß von der Leitung, jeder Conſtruction eines Schiffes abgeht und denen man das Siſal der ottomaniſchen Flotte anvertraut hat. )
Die allgemeine Entrüſtung wendete ſi jedoch gégen den ohnehin verhaßten Krieg8miniſter Nedif Paſcha und mate ausſcließli<h ihn für den Fall der Feſtung verantwortlich; man fragte, und mit Recht, wie es denn komme, daß Redif den Plat von Ardahan nur mit einer ſo geringen Garniſon verſehen und als Commandanten einen Menſchen hingeſtellt, dem ſelbſt die Elementarbegriffe vom militäriſchen Wiſſen abgehen; eine ſolhe Frage wurde am 24. Mai von beiläufig 2000 Moſllahs und Softas an die Kammer gerihtet. Einige Deputirte hatten ſi< nämlich verabredet, in der Sißung vom 24. Mai eine Interpellation bezüglich des Falles von Ardahan an die Regierung» zu rihten, und von derſelben die Mittheilung der Einzelheiten, welche dieſe Kataſtrophe betreffen, zu verlangen, und da dieſer Umſtand dur< ein türkiſ<hes Fournal dem Publikum bekannt gegeben wurde, \o waren die Galerien und Logen von Türken und einer großen Anzahl Europäer diht beſetzt. Die Sitzung war überhaupt eine ſtürmiſche; mehrere Deputirte erhoben \{<were Anklagen gegen die Regierung und namentlih gegen die Kriegsverwaltung und wurden faſt vom ganzen Hauſe mit Beifall überſchüttet. Yenicheherli - Zadeh, der Vertreter von Smyrna, erhob fſi< unter dem Applaus ſeiner Collegen und erklärte, daß die Glückwünſche von Seite des Präſidenten des Hauſes über eine gelungene Rede ihm im jebigen Momente nicht genügen. „Wir verſammeln uns hier,“ ſagte er, „halten glänzende Reden und faſſen zwe>mnäßige Beſchlüſſe, aber kein einziger dieſer Beſchlüſſe wurde von der Regierung au<h nur berüdſihtigt; es iſt ‘alſo höchſte Zeit, daß wir einmal eine Regierung beſißen, welhe fähig iſt und den Willen hat, Maßregeln in Vollzug zu ſeen, welche die außerordentli<h kritiſhe Lage unſeres Vaterlandes erfordert.“ Der tobende Bei- fall, welcher dieſe Bemerkungen begleitete, wurde dur eine Demonſtration unterbrochen, welche die