Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten
erſter Claſſe, begab ſi< na< ſtattgefundener Begrüßung von Seite des anweſenden Botſchaftsperſonales vor das Bahnhofgebäude und ſtieg hier in die bereitſtehende Equipage des Hotels zum Deſterreihiſhen Hof. Die ſlaviſchen Studenten erkannten den ruſſiſhen Staatsmann erſt dann, als er im Coupé der Equipage Plat genommen hatte. Sie ſtellten ſi< ſ{<nell zu beiden Seiten des Wagens auf und einer der Studenten richtete eine kurze Anſprache an den Botſchafter. General Fg natie ff gab unmittelbar darauf dem Kutſcher die Weiſung fortzufahren, und unter den Rufen: „Ura, Zivio und Slava !" verließ die Equipage mit dem General Jgnatieff ſchleunigſt den Play. Die Studenten entfernten ſih hierauf ebenfalls in aller Ruhe. Zehn Minuten ſpäter nahm der ruſſiſhe Staatsmann, der Civilkleidung trug, von ſeinen Appartements in dem früher erwähnten Hotel Beſiß. Er beabſihtigte, no<h im Laufe des Abends der Bizet'ſhen Oper „Carmen“ im Hof-Opernhauſe beizuwohnen.
Am darauffolgenden Tage wurde er um halb vier Uhr vom Kaiſer Franz Joſef in beſonderer Audienz empfangen. Der General erſchien bei derſelben in militäriſher Uniform. Die Audienz dauerte nahezu eine halbe Stunde. Jun Laufe desſelben Tages machte der General mehreren Vertretern der fremden Mächte Beſuche, unter Anderen auh dem türkiſhen Botſchafter Aleko Paſha. Zu Ehren des Generals «Jgnatieff fand Abends um 5 Uhr bei dem ruſſiſhen Botſchafter von Nowikoff eine Galatafel ſtatt, an welcher außer dem General Jgnatieff, deſſen Gemalin und Sohn, der Secretär Prinz Tzereteleff, ſowie das Perſonale der ruſſiſchen Botſchaft in Wien theilnahmen.
Der Aufenthalt des Generals dauerte nur zwei Tage, doh erregte ſeine Perſönlichkeit die vollſte Aufmerkſamkeit des Publikums. Er war „der General des Tages“. Ein General braucht eben feine Schlachten gewonnen oder verloren zu haben, um in Aller Mund und in Aller Federn zu kommen, das hatte der Gaſt bewieſen, der Wien na< kurzem Beſuch wieder verließ. Er war entſchieden der intereſſanteſte Gaſt des Wiener Faſchings und daher begreiflih, daß man ſi ſehr fleißig mit ſeiner Perſönlichkeit beſchäftigte und ſeine Erſcheinung ſcharf auf's Korn nahm. General Fgnatieff hat das Ausſehen eines Mannes von ungefähr vierzig Jahren. Er iſt mittlerer Statur, ſein Haar iſ roth-blond, der Schnurrbart ſtark und im äußeren Auſtreten zeigt er die ſtramme Haltung des Militärs. Seine Rede klingt voll und markig, und iſt nicht ſelten von einem ſanften Lächeln begleitet, doh verzieht ſi< dabei einigermaßen die Unterlippe, was aber die Phyſiognomie keineswegs häßlich macht. Fn der Converſation giebt ſi< der General
zuvorkommend und ſympathiſ<h und ſein ganzes Weſen iſ von einem leihten Humor angeflogen. Eine bemerken8werthe Eigenſchaft des Generals iſt die Ungeduld, die hatte er vom Soldaten. Als er zum Beiſpiele bei dem Beſuche, den er dem italieniſhen Botſchafter, Graf Robill ant, gemacht, ſi< plöbli<h zum Aufbruche anſchi>te, der Fiaker aber niht ſofort zur Hand war, und der Diener begütigend ſagte, in 30 Secunden werde der Wagen da ſein, ſtampfte der General mit dem Fuße und ſagte: „Jh habe keine Zeit, i< muß ſofort zum Grafen Andraſſy. Fhr ſeid ſehr bequem in Wien!“ Fun einem Tag mußte man vier Fiaker wechſeln, weil dem General alle zu langſam fuhren. Von großen Ausgaben hien der diplomatiſhe Soldat kein ſonderlicher Freund zu ſein. Auch die Frau Gemalin des Generals war höchſt intereſſant. Dieſe, eine geborne Prinzeſſin Galiß in, hat die Dreißig no< niht um Vieles überſchritten. Sie iſt von fleinerer Statur, in der Phyſiognomie iſ der e<t ruſſiſhe Typus ausgeprägt, in ihrem Benehmen liegt herablaſſende Freundlichkeit und ihr äußeres Auftreten beweiſt, daß ſie Einiges auf ihre Toilette halten mag. Uebrigens ſcien fich die begabte Dame für Politik niht wenig zu intereſſiren, und ſo weit es das Amtsgeheimniß geſtattet, nimmt ſie an den Unterredungen ihres Gemals lebhaften Antheil. Es iſt ſelbſtverſtändlich, daß General FJgnatieff perfect franzöſiſch ſpricht. Der deutſhen Sprache jedo< iſ er niht ganz mächtig, während ſeine Gemalin beide Sprachen vollkommen beherrſ<ht, — Der junge JFgnatieff, ein elfjähriger, kräftiger und lebhafter Knabe, ſpriht ziemli< geläufig deutſch und franzöſiſ<h, welhe beide Sprachen im Familienzirkel des Generals mit Vorliebe geſprochen werden. Prinz Tzereteleff iſt ein junger Mann; er zählt 24 Fahre. Er hat den Titel eines gentilhomme de la chambre (Kammerjunker) und bekleidete bei der ruſſiſhen Bothaft in Conſtantinopel den Poſten eines zweiten Secretärs. Nun begleitete er, wie erwähnt, den General Fgnatieff auf deſſen Reiſen als Privatſecretär.
Wien verlaſſend, begab ſi< der General über Krakau und Lemberg vorerſt na< Kiew, ſodann na< Petersburg. Der öſterreihiſhe Botſchafter Graf Zich y und der ruſſiſhe Botſchafter vou Novikoff mit ſeinem Perſonale hatten ſi zum Abſchiede auf dem Nordbahnhofe eingefunden. Als um */,11 das erſte Signal gegeben wurde, reihte Graf Zihy der Frau v. Novikoff den Arm und führte dieſelbe, gefolgt von General JFgnatieff, dem Botſchafter Novikoff und den übrigen anweſenden Perſonen, auf den Perron, wo ſi< die Herrſchaften verabſchiedeten. Graf Zichy und Novik off küßten der Frau von Jgnatieff die Hand, die beiden Botſchafter