Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten

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Klarheit verbreitet werden ſollte. Seit jenen entſcheidenden Schritten Rußland im Herbſte des Jahres 1876, durh welche die engliſche Politik zu energiſcher Fnitiative bewogen wurde, war das Cabinet von St. James im Vordergrunde aller Verhandlungen geſtanden, ſeine Juitiative hatte die Conferenz in's Leben gerufen, ſeine Borſchläge hatten dieſelbe zumeiſt beſchäftigt, das übrige Europa hatte ſi< denſelben nur angeſchloſſen, doh kann beſtätigt werden, daß zuletzt alle Großmächte ſi< auf gleicher Linie bewegten und alle die gleihen Ziele verfolgten, Troydem hatte die Pforte dieſe Vorſchläge abgelehnt, jedoh darf man niht vergeſſen, daß ſie nur die Form zu billigen verweigerte, niht aber den Fnhalt der Conferenzbeſ<lüſſe.

Die Pforte hat die Gerechtigkeit der europäiſchen Forderungen zu Gunſten der Chriſten anerkannt, und hatte es nux für unzuläſſig erklärl, daß ihr in Bezug auf die Dur<hführung der Reformen eine internationale Controle auferlegt werde, die ihr Souverainetätsreht hbeſhränke, Andererſeits war es klar, daß ſelbſt beim beſten Willen die Pforte niht im Stande ſein fonnte, die Reformen durchzuführen, ſo lange das Reich in Waffen ſtarrte, ſo lange am Pruth eine ruſſiſhe Armee bereit ſtand, deu Siegesweg, den eiuſtens Diebitſ< gegangen, wieder aufzuſuchen. Die Reformen zu ſichern und den Frieden zu erhalten — das war das doppelte Gebot, unter dem General Fgnatieff's Miſſion ſtand. Graf Schuwaloff ſollte, nahdem er mit General Jgnatieff Rückſprache genommen, in der Lage ſein, dem Cabinet von St. James gewiſſermaßen das leßte Wort Rußlands mitzutheilen ; ex ſollte verlangen, daß Europa in völkerre<htli< bindender Art, ſei es in Form eines Protokolls, ſei es in anderer Form, nohmals für die Conferenzbeſhlüſſe einſtehen zu wollen erkläre. Hiervon ſollte naturgemäß die Bewilligung einer Friſt an die Türkei zur Durchführung der Reformen, hiervon ſollte die Entwaſfnungsfrage abhängen.

Der erſte Zielpunkt der Reiſe Jgnatieff's war ſelbſtverſtändlih Berlin, wo er nebſt ſeiner Gemalin und ſeinem Secretär eintraf.

Der General beſprach ſi< wiederholt mit dem ruſſiſhen Botſchafter, Herrn von Oubril, begab ſich Nachmittags zu dem Fürſten Bis mar >, wo er mit dem Secretär, Prinz Tzereteleff, über eine Stunde verweilte. Der General dinirte dann bei dem Fürſten Bismar> und blieb hierauf des Abends längere Zeit mit Herrn von Oubril zuſammen, Doch blieb damals der eigentlihe Zwe> ſeiner Reiſe in geheimnißvolles Dunkel gehüllt, und man colportirte eifrigſt das Märchen, Jgunatieff habe kaum eine andere Abſicht gehabt als die, gewiſſe mediciniſhe Autoritäten für ſein Augenleiden zu

Rathe zu ziehen. Kaiſer Alexander habe ihm feine Fuſtructionen ertheilt, und wenn ex in Berlin Unterredungen mit dem Kaiſer Wilhelm und Fürſten Bis mar> hatte, ſo ſei dies geſchehen, weil ihm die einfachſte Höflichkeit gebot, dem Souverain und dem Kanzler einer mit Rußland unzertrennli<h verbündeten Macht ſeine Ergebenheit zu bezeugen. Die herzlihe und ſympathiſche Aufnahme, welche er beidem Kaiſer und dem Fürſten fand, hätten ihn ſehr angenehm berührt, die Beziehungen zwiſhen Deutſchland und Rußland konnten gar niht freundſchaftlicher ſein und andererſeits habe ſi< der General bei ſeinem jüngſten Aufenthalte in Wien überzeugt, daß auh der Kaiſer Franz Joſef dem Czaren in unerſhütterliher Zuneigung anhänge. Dieſes dreifache Bündniß ſei na< der Auffaſſung des Generals von der höchſten Wichtigkeit, und wie es ſhon ſeit drei Fahren das wirkſamſte Pfand des europäiſchen Friedens war, ſo ver-

“ſpriht es au< unter den gegenwärtigen Ver-

hältniſſen die beſten Reſultate. Fürſt Tzerete[eff erflärte, daß man ihm eine Sprache in den Mund gelegt habe, die er nie geführt hätte. Auch das Gerücht, wona<h der Graf S<huwa[off eigens an den General Jgnatieff geſchrieben hätte, um ihm die Reiſe na< London zu widerrathen, ſei aus der Luft gegriffen ; der General habe gar feine Veranlaſſung zu dieſem Ausfluge.

Was den jungen Fürſten Tzeretele ff, einen harmloſen jungen Elegant, betrifft, ſo iſ ohne Weiteres zu glauben, daß er weder in die Jdeen und Miſſion Jgnatief fs eingeweiht, noh irgendwie befugt war, über dieſe ſi< auszuſpreehen. Anders verhält es ſi< aber mit der Behauptung über den Zwe> der Zuſammenkunft Schuwaloffs mit JFgnatieff in Paris. Jgnatieff hatte offenbar angeſihts der Wendung, welche der Fdeen-Austauſh zwiſhen Rufßland und England genommen, ſi< davon überzeugen müſſen, daß der gewöhnliche Botſchafter Rußlands in London, nachdem er denſelben auf Grund der aus St. Petersburg mitgebrachten Weiſungen und der in Berlin gewonnenen Erfahrungen neu inſtruirt, beſſer als er ſelber die Beſprechungen mit den engliſhen Staatsmännern fortſeßen könne. Wenn ſi< Fgnatieff auch der Zuſtimmung Frankreihs, nah derjenigen Deutſchlands zu dem neuen, beziehung3weiſe wieder aufgewärmten Vorſchlag verſichert haben mochte, es ſolle blos ein Protokoll über die Nothwendigkeit der türkiſhen Reformen zu Gunſten der Chriſten aufgenommen und von ſämmtlichen Mächten unterzeihnet werden, dann mußten in London, wohin Schuwaloff dann zurükehren ſollte, die entſcheidenden Verhandlungen ſtattfinden.

Das erwähnte Augenleiden des ruſſiſchen