Illustrierte Geschichte des Orientalischen Krieges von 1876-1878. : mit 318 Illustrationen, Plänen, Porträts und zwei Karten
Knieen reichende Hoſen, in weiße Hemden aus Bruſſaer Seide gekleidet, darüber eine blauſammtene offene Ja>e ohne Aermel, die Bruſt mit reiher Goldſti>erei, den Rücken mit einem goldenen, nah aufwärts gefehrten, drei goldene Sterne umſchließenden Halbmond geſhmüd>t. Das kaiſerliche Kaïk von demſelben Umfange, mit blauem Atlas ausgeſhlagen, nahm ſi< mit ſeiner weit geringeren Schnißerei und Goldverzierung und ſeinen in weiße Bruſſaer Seide gekleideten Nuderern beinahe arm im Vergleiche zu jenem aus. Da ſi der Aufenthalt des Prinzen beim Sultan bedeutend verlängerte und die Schiffe Anker geworfen hatten, ohne irgend welche Vorbereitungen zum Ausſchiffen der Truppen zu machen, ſo kehrte das Publikum nah Pera zurü>. Die Zahl der eingetroffenen Egyptier war 6000 Mann, und zwar 9 Bataillone Jufanterie, eine Abtheilung Cavallerie und ein Bataillon Artillerie. Außerdem befanden ſi< no< 4 Batterien mit Krupp’ſhen Geſhüßen, zwei Kanonen neuer franzöſiſher Conſtruction (Rogués), 5000 Remington-Gewehre und eine Million Patronen für die türkiſhe Armee an Bord, auh hatten die Egyptier drei Dampfbarcaſſen zum Befahren der Donau mitgebra<t. Zur theilweiſen Erklärung des nichts weniger als feierlichen Empfanges des Prinzen in Dolma-Bagdſche mag die nachträglih bekannt gewordene Thatſache dienen, daß der Seraskier dem Prinzen auf Befehl des Sultans bis San Stefano entgegengefahren war und ihn bereits daſelbſt im Namen des Sultans bewillkommt hatte. Die Escadre verließ, von der türkiſhen Panzerfregatte „Azizie“ begleitet, den Tag nach ihrer Ankunft den Bosporus, um ſih nah einem Hafen des Schwarzen Meeres, nämlih na< Varna, zu begeben.
Bei dem Umſtande, als in dem bereits in vollen Flammen auflodernden ruſſiſch - türkiſchen Krieg au< Egypten ein für ſeine augenbli>lihen militäriſchen Verhältniſſe ziemli<h namhaftes Contingent zu ſtellen bereit war, iſt es gewiß niht ohne Fntereſſe, dasſelbe etwas näher zu betrahten. Allerdings darf man dabei niht an die großartigen Heeresorganiſationen der europäiſchen Mächte denken; denn erſtens zählt Egypten, deſſen Bevölkerung vorwiegend eine a>erbautreibende, mithin friedliche iſt, faum fünf Millionen Einwohner, und zweitens iſt niht zu vergeſſen, daß die viceköniglihe Armee eine Schöpfung des jetzigen Khedive iſt, alſo von 1864 und 1865 datirt.
Mohammed Ali, der ruhmvolle Begründer der Dynaſtie und überhaupt Umgeſtalter des ganzen Landes (geb. 1769, geſt. 1849), hatte freilih, ſobald er zur Herrſchaft gelangte, die er anfangs nur dur< ſtete Kriege mit der Pforte behaupten konnte, ſein weſentli<hes Augenmerk auf die Bildung eines tüchtigen Heeres gerichtet,
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und dies war ihm auch gelungen, wennglei< mit außerordentlihen Opfern. Der ſyriſche Feldzug unter ſeinem vielbegabten und ritterlihen Sohn Jbrahim Paſcha (geb. 1789, geſt. 1843), dem Vater des jebigen Vicekönigs J8mael, in den Dreißiger Fahren, als allein das dortige Heer gegen 60.000 Mann betrug, legte ein glänzendes Zeugniß ab von der Kriegstüchtigkeit der Egypter, die vielleiht dem ganzen Türkiſchen Reih damals den ‘Garaus gemacht haben würden, wenn niht die Weſtmächte, die ſich gegenſeitig die reihe Erbſchaft niht gönnten (und dem Mohammed Ali noch weniger), für die Erhaltung des „kranken Mannes“ ih in's Mittel gelegt hätten. Nach dem Tod Mohammed Ali's verfiel ſo ziemli<h Alles, was der bedeutende Mann geſchaffen hatte.
Sein Nachfolger Abba s Paſha (geb. 1816, geſt. 1854) war dem europäiſchen und insbeſondere dem franzöſiſhen Einfluß, in welhem M ohammedAli ſeine Hauptſtüte gefunden, entſchieden abhold und führte dabei das Leben eines orientaliſhen Lebemannes. Nach ſeinem gewaltſamen Tode kam Saïd Paſcha (geb. 1822, geſt. 1863) zur Regierung, der ein gutes Andenken hinterlaſſen hat; er war ungemein freigebig, umgab ſi< au< wieder mit Europäern, that jedo< wenig für die Wehrkraft des Landes. Jhm war das Militärweſen mehr eine Spielerei und ein koſtbarer Zeitvertreib, wie er denn z. B. ein Leibregiment von ausgeſu<ht ſ{<önen jungen Männern hatte, mit denen er überall und vorzugsweiſe gern in fliegenden Lagern mitten in der Wüſte umherzog, und denen er auh La>ſtiefeln und ſilberne Uhren zum Geſchenke machte. Nach ſeinem Tode befand ſi< die ſogenannte Armee in ſo verwahrloſtem Zuſtande, daß ſie dieſen Namen gar nicht mehr verdiente, denn mit Ausnahme der ebenerwähnten Leibregimenter, die au< nur zum Paradiren taugten, waren faſt alle Soldaten davongelaufen.
JS3maïl Paſcha, der jebige, vierte Vicefönig Egyptens (geb. 1830, Sohn des Fürſten JFbrahim), Souverain von Nubien, des Sudans, Kordofans und Darfurs, der ſeinem Oheim Saïd Paſcha nahfolgte, von der Hohen Pforte dur< Ferman vom 21. Mai 1866 das Recht der directen männlichen Erbfolge in ſeiner Linie, dur<h Ferman vom 20. September 1872, ferner das Reht na< eigenem Ermeſſen ſeine Armee und ſeine Marine zu vermehren, ſowie Anleihen abzuſchließen, endlih 1873 das Recht Handelsverträge abzuſchließen, die völlige Selbſtſtändigkeit der Verwaltung des Landes erhielt; ihm fiel nunmehr die große und ſ{<were Aufgabe einer vollſtändigen militäriſhen Umgeſtaltung zu, und man darf ihm die gere<te Anerkennung niht verſagen, daß er dieſe Aufgabe, unter Berücfſihtigung der ge-